So lernt mein Hund by Sabine Winkler
Autor:Sabine Winkler [Winkler, Sabine]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-440-13827-4
Herausgeber: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2013-10-06T23:00:00+00:00
Löschen (Extinktion) bei negativer Verstärkung
Die Vermeidungsreaktion selbst ist erstaunlich resistent gegen Extinktion, auch wenn lange Zeit keine »Auffrischung« durch erneutes Erleben des aversiven Reizes mehr vorgekommen ist. Zumindest gilt dies, wenn der verwendete aversive Reiz sehr stark war. Offenbar ist dann die Erleichterung darüber, die Unannehmlichkeiten erfolgreich vermieden zu haben, so groß, dass sie dauerhaft eine sehr wirksame Belohnung nach dem Motto »Uff – gerade noch mal davongekommen!« darstellt. Z. B. führten Hunde in einem Experiment eine durch Elektroschocks gelernte Vermeidungsreaktion noch mindestens 200-mal flott und zuverlässig aus, nachdem eigentlich gar kein Schock mehr erfolgt wäre, wenn sie sich falsch verhalten hätten.
Nach demselben Prinzip zeigen auch Ängste und Phobien ein extremes Beharrungsvermögen. Der Hund setzt sich freiwillig keinem Risiko mehr aus und kann so auch nie die Erfahrung machen, dass ja eigentlich gar nichts passiert wäre, wenn er nicht auf das Warnsignal reagiert hätte. Eine Extinktion kann man dann nur noch künstlich herbeiführen, indem man das Tier daran hindert, die Vermeidungsreaktion auszuführen. Das könnte konkret z. B. so aussehen, dass man einen Hund, der einen bestimmten Weg nicht mehr gehen mag, weil er dort an einem Weidezaun einen Stromschlag bekommen hat, mehrere Male durch Mitziehen an der Leine zwingt, den Weg trotzdem zu gehen. Dadurch kann es tatsächlich gelingen, das Vermeidungsverhalten relativ rasch auszulöschen. Diese Methode ist jedoch verständlicherweise mit großem Stress verbunden und mit dem Risiko behaftet, das Problem sehr zu verschlimmern, wenn das Löschen nicht gelingt. Sie eignet sich daher normalerweise nur für relativ geringe und erst vor kurzem durch eine unglückliche Verknüpfung entstandene Ängste, bei denen der Auslöser klar umrissen ist. Wichtig ist auch, dass der Hund vorher keinerlei Probleme mit der betreffenden Situation hatte und es nicht zu befürchten ist, dass das negative Erlebnis, das zum Problem geführt hat, sich wiederholt.
Den Berner Sennenhund Artos hatte ich im Kurs als sehr umweltsicher und ausgeglichen kennengelernt. Artos Besitzerin war geschickt im Training und konnte ihren Hund gut einschätzen und unterstützen. Nach dem Kurs zogen die beiden in eine andere Stadt. Einige Wochen später klingelte spät abends mein Telefon. Artos Besitzerin war schon zwei Stunden mit ihrem Hund spazieren gegangen, ehe sie mich telefonisch erreicht hatte, und war ziemlich verzweifelt: Artos stemmte plötzlich vor dem Aufzug alle Viere in den Boden, weigerte sich beharrlich, ihn zu betreten und nahm auch keine Leckerchen mehr. Die beiden kamen nicht mehr in ihre Wohnung in einem höher gelegenen Stockwerk. Ich vergewisserte mich bei der Besitzerin, dass Artos die ganzen letzten Wochen seit dem Umzug immer problemlos und ohne Stress in den Lift gegangen war. Dann gab ich ihr den Tipp, sicherzustellen, dass Artos Halsband eng genug war und ihn dann trotz seines Widerstandes ohne Federlesens in den Lift zu ziehen – und als Belohnung sofort wieder hinauszugehen. Dies sollte sie so oft hintereinander wiederholen, bis Artos im Fahrstuhl wieder ebenso entspannt war wie früher. Eine halbe Stunde später rief Artos Besitzerin erleichtert zurück. Alles hatte geklappt und das Problem war (dauerhaft) gelöst. Warum Artos an dem Tag plötzlich Angst vor dem Fahrstuhl hatte, haben wir nie herausgefunden.
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