So eine lange Reise: Ein Indien-Roman by Rohinton Mistry & Matthias Müller

So eine lange Reise: Ein Indien-Roman by Rohinton Mistry & Matthias Müller

Autor:Rohinton Mistry & Matthias Müller [Mistry, Rohinton & Müller, Matthias]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik, Gegenwartsliteratur
ISBN: 9783104029344
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2014-09-28T00:00:00+00:00


teil XII

1

Gustad ging mit der neuen Mixtur und den Pillen zum Bett-mit-der-Tür. Dr.Paymaster hatte im Verlauf der letzten vierzehn Tage Roshans Rezeptur viermal geändert, hatte Blutproben, Stuhlproben und Barium-Röntgenaufnahmen angeordnet. Letzte Woche hatte Gustad seinen Fotoapparat verkauft, um die Rechnungen bezahlen zu können.

Als Roshan sich aufsetzte, um ihre Medizin zu nehmen, wollte er sie auf ewig in der Sicherheit seiner Arme halten. Statt dessen strich er ihr über die Stirn und rieb ihr sanft den Rücken. Aber sie wußte schon, daß ihr starker und breitschultriger Papa (mit seinen großen Bizeps, die er wie lebendige Wesen hoch und runter schlängeln lassen konnte) Angst hatte, hilflos war angesichts ihrer Krankheit. Manchmal, wenn er morgens zu ihr hereinschaute, dachte sie, daß er gleich weinen werde, was ihr selbst den Anflug von Tränen in die Augen trieb. Dann zwang sie sich dazu, an schöne Dinge zu denken, wie Onkel Majors Sonntagsbesuche, wenn es Mamis leckeres dhansak gab und wenn Papa und er die Ellbogen auf den Tisch stellten und versuchten, angefeuert von Sohrab und Darius, sich gegenseitig die Hand runterzudrücken. Ihre Muskeln schwollen so groß an, als würden sie gleich platzen. Es war so lustig zuzusehen, wie sie schwitzten, rangen und gleichzeitig lachten. Onkel Major war auch ein sehr starker Mann, aber Papa gewann meistens, er war so zäh. «Was macht die Spritze, mein kleines bakulyoo?» sagte Gustad. «Tut’s noch weh?»

«Ein bißchen.»

Er ging zur Anrichte und holte die Tube Hirudoid-Salbe. «Das hier wird die Schwellung auflösen.» Er rieb die Stelle ein. «So. Was hättest du sonst noch gerne? Hättest du gerne, daß deine große italienische Puppe aus dem Schrank kommt?»

«Au ja.» Ihre Augen leuchteten auf.

«Wenn ich heute abend von der Arbeit komme, holen wir alle ihre Kleider aus dem Koffer und ziehen sie an. Dann kann sie mit dir auf dem Sofa sitzen. Oder sie kann hier neben dir schlafen. O.K.?»

«Ja, aber komm nicht so spät, Papa.»

«Nein, ich versprech’s dir. Und jetzt schlaf wieder. Du brauchst viel Ruhe. Komm, mach die Augen zu. Oder soll ich dir was vorsingen, wie einem kleinen Baby?» Um sie zu necken, stimmte er, zur Melodie von ‹Ta ra ra bum-di-ai›, das Lied an, das sie als kleines Kind immer gehört hatte:

Roshan ist ein braves Mädchen,

Ein sehr, sehr braves Mädchen,

Seht, wie gut sie einschläft –



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