Sieben by Reinhard Schluter

Sieben by Reinhard Schluter

Autor:Reinhard Schluter [Schluter, Reinhard]
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-06-18T14:39:42+00:00


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Über alle Zeiten

Die Sieben in Kosmos, Wissenschaft und Philosophie

Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden, heißt es bekanntlich im Eid des Hippokrates. Auch wenn jener ärztliche Schwur nach zweieinhalb Jahrtausenden deutliche Erosionsspuren zeigt – Stichwörter: Doping-Ärzte, »Schönheits«-Chirurgie, Zweiklassenmedizin, von »Eugenik« oder »Euthanasie« ganz zu schweigen –, könnte man diese Hinterlassenschaft des Urvaters der abendländischen Medizin als gleichsam nobelpreiswürdig ansehen. Wie anders verhält es sich indes mit Hippokrates’ Heilkunst und seinen medizintheoretischen Abhandlungen! Vier Körpersäfte eiferten um unser tägliches Wohl und Wehe, hatte der Spitzen-Mediziner des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts befunden: Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle (haíma kai phlégma kai chólän xanthän kai chólän mélainan).

Was das griechische Originalzitat auch heute noch interessant macht, sind die griechischen Vokabeln: haíma (= Blut; lateinisch: sanguis), phlégma (Schleim), chólä (Galle) und mélainos (Schwarz) – jene Begriffe also, mit denen Hippokrates unbeabsichtigt die Spur zur eher neuzeitlichen Temperamentenlehre legte. Dabei hätten sich vermutlich weder Sanguiniker noch Phlegmatiker, Choleriker oder Melancholiker späterer Jahrhunderte freiwillig in die Behandlung des ägäischen Wanderarztes begeben mögen, der in seinem Leben nie einen Leichnam von innen gesehen, trotzdem siebzig medizintheoretische Werke verfasst – darunter sieben Bände über Epidemien –, sieben menschliche »Ausflüsse« ermittelt, die optimale Schwangerschaftsdauer mittels der Zahlen Vier und Sieben arithmetisch auf 4 x 7 x 10 = 280 Tage festgelegt, bei Unfruchtbarkeit allmonatlich sieben Efeukörner in altem Wein verschrieben und bei Hämorrhoiden die Empfehlung ausgesprochen hatte, sich möglichst drei bis vier Mal alle sieben Tage zu erbrechen.

Dass er bei alledem dennoch rund neunzig Jahre alt wurde, mag Hippokrates somit weniger seiner sieben- und säftelastigen Diagnostik als vielmehr der täglichen Bewegung als Wanderarzt verdankt haben, samt dem Umstand, dass er stets bereits weit weg war, sobald sich manch unerwünschte Folge seiner Verschreibungen zeigte.

Dass man in der hellenistischen Antike zugleich als Arzt, Politiker, Sühnepriester und Dichter zu Ruhm und Ansehen gelangen konnte, beweist, dass die Kulturentwicklung einer Gesellschaft (nicht gemeint sind Technologie und Wirtschaftswachstum) mitnichten des Spezialistentums bedarf. Einer, für den eine solche Multiprofessionalität zutraf, war der um 490 vor Christus in Sizilien gebürtige, bereits erwähnte Empedokles. Dieser hatte – nicht unähnlich der fernöstlichen Vorstellung vom Yin und Yang – Liebe (Philotes) und Hass (Neikos) als die zwei polaren Urkräfte angesehen, die im wechselnden Zusammenspiel mit den vier Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser alles Geschehen auf dieser Welt bestimmten. Eine gleichsam »tetralogische« Weltauffassung also, die nicht nur zur Haltbarkeit der hippokratischen Viersäftelehre beitrug, sondern teils auch das aristotelische und platonische Denken beeinflusste. À la longue war jedoch der Vierelementelehre in den Naturwissenschaften eine relativ kurze Haltbarkeitszeit beschieden, nicht so jedoch in Astrologie (zwölf den vier Elementen zugeordnete Tierkreiszeichen), Numerologie (vier als Zahl der Materie) und Religion. So nutzte insbesondere die frühchristliche Exegese das Summenspiel zwischen »weltlicher Vier« und »göttlicher Drei«, um der »heiligen Sieben« zusätzliches arithmetisches Unterfutter zu geben. Etwa indem man die »sieben Tugenden« in die drei »theologischen« Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung und die vier »Kardinaltugenden« Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung teilte.



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