Sie nannten mich Es by Dave Pelzer
Autor:Dave Pelzer [Pelzer, Dave]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-07T16:00:00+00:00
6.
Wenn Vater außer Haus ist
Nach dem Vorfall mit dem Messerstich war Vater immer seltener zu Hause und verbrachte immer mehr Zeit in der Feuerwache. Er hatte stets eine Entschuldigung parat, aber ich glaubte ihm nicht. Ich zitterte oft vor Angst, wenn ich in der Garage saß, und hoffte, dass er aus irgendeinem Grund nicht weggehen würde. Trotz allem was geschehen war, hatte ich immer noch das Gefühl, er wäre mein Beschützer. Wenn er zu Hause war, tat mir Mutter nur etwa halb so viel an, wie in den Zeiten, in denen er weg war.
Vater hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mir abends beim Abwasch zu helfen, wenn er zu Hause war. Vater spülte und ich trocknete ab. Wenn wir bei der Arbeit miteinander redeten, flüsterten wir, damit Mutter und meine Brüder uns nicht hören konnten. Manchmal vergingen mehrere Minuten, bis wir uns trauten, etwas zu sagen. Wir wollten sichergehen, dass die Luft rein war.
Vater brach immer das Eis. »Wie geht's dir, Tiger?«, sagte er.
Wenn ich den alten Namen hörte, den Vater mir gegeben hatte, als ich noch ganz klein war, musste ich immer lächeln. »Geht so«, gab ich zurück.
»Hast du heute etwas zu essen bekommen?«, fragte er oft. Ich schüttelte gewöhnlich den Kopf.
»Keine Angst«, sagte er. »Eines Tages werden du und ich aus diesem Irrenhaus rauskommen.«
Ich wusste, dass Vater es hasste, zu Hause zu sein, und ich hatte das Gefühl, es sei alles meine Schuld. Ich sagte, dass ich ein guter Junge sei und kein Essen mehr stehlen würde, und versprach, mir mehr Mühe zu geben und meine Aufgaben besser zu erledigen. Wenn ich diese Dinge sagte, lächelte er immer und versicherte mir, dass es nicht meine Schuld sei.
Manchmal hatte ich beim Abtrocknen wieder einen Hoffnungsschimmer. Ich wusste, dass Vater vermutlich nichts gegen Mutter unternehmen würde, aber wenn ich neben ihm stand, fühlte ich mich sicher.
Wie bei allem Guten, das mir widerfuhr, schob Mutter auch hier wieder einen Riegel vor. Sie beharrte darauf, dass »der Junge« keine Hilfe brauchte. Sie beklagte sich, dass Vater mir zu viel Aufmerksamkeit schenkte und sich nicht genug um die anderen Familienmitglieder kümmerte. Vater gab kampflos auf. Mutter hatte die ganze Familie jetzt völlig in der Hand.
Nach einer Weile blieb Vater nicht einmal mehr an seinen freien Tagen zu Hause. Er kam nur für ein paar Minuten nach Hause. Nachdem er nach meinen Brüdern gesehen hatte, suchte er nach mir, wo immer ich gerade meine Fronarbeit erledigte, sprach ein paar Worte mit mir und machte sich dann wieder aus dem Staub. Vater brauchte für seinen Zwischenstopp zu Hause nicht mehr als zehn Minuten. Ansonsten suchte er Zuflucht vor Mutter, gewöhnlich in einer Bar. Wenn Vater mit mir sprach, erzählte er mir öfter von seinen Plänen, die Familie mit mir zu verlassen. Das brachte mich immer zum Lächeln, aber im Grunde meines Herzens wusste ich, dass es sich nur um Phantasievorstellungen handelte.
Eines Tages beugte er sich zu mir herab, um mir zu sagen, wie Leid es ihm täte. Ich schaute ihm ins Gesicht. Es machte mir Angst, wie sehr Vater sich verändert hatte.
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