Sherlock Holmes und die Theatermorde by Nicholas Meyer
Autor:Nicholas Meyer [Meyer, Nicholas]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Krimi
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 0100-12-31T23:00:00+00:00
KAPITEL ZEHN
Der Mann mit den braunen Augen
Sherlock Holmes ging auf Bram Stokers Stiefel und auf dessen Neigung, an Türen zu horchen, nicht näher ein und äuÃerte sich auch nicht zu Ellen Terrys Reaktion auf seine Frage nach Stokers Wohnung in Soho. Ja, er lehnte es beim Verlassen des Lyzeums ab, überhaupt eine Meinung von sich zu geben.
»Später, Watson«, sagte er, als wir vor dem Theater am StraÃenrand standen. »Es ist alles nicht so einfach, wie ich zunächst vermutete.«
Ich wollte mich gerade erkundigen, was er damit meinte, als er mich am Ãrmel packte.
»Ich muà den Nachmittag mit einigen Nachforschungen verbringen, Watson. Darf ich Sie bitten, eine Kleinigkeit für mich herauszufinden?«
»Was immer Sie wollen.«
»Ich möchte, daà Sie Bernard Shaw auftreiben und feststellen, was es gestern abend mit seinem exzentrischen Benehmen auf sich hatte.«
»Sie messen meiner Theorie also einige Bedeutung bei?«
»Mag sein«, antwortete er mit einem Lächeln. »Auf jeden Fall scheint es mir geraten, alle Fäden dieses verworrenen Knäuels in der Hand zu behalten. Es ist beinahe Mittagszeit, und ich glaube, Sie werden ihn im Café Royal finden. Ich weiÃ, daà er dort mit Vorliebe seine Mahlzeiten einnimmt. Viel Glück.« Er drückte meinen Arm und ging eilig davon.
»Wo sollen wir uns treffen?« rief ich ihm nach.
»Baker Street.«
Er verschwand um die Ecke, und ich vergeudete weiter keine Zeit, sondern winkte einer Droschke, um direkt ins Café Royal zu gelangen, eine verschneite Meile vom Lyzeum entfernt. In der Tat hatten alle Vorfälle, mit denen wir es gegenwärtig zu tun hatten, innerhalb einer einzigen Quadratmeile stattgefunden, ein Gedanke, der mich nachdenklich stimmte. Die Welt des Theaters schien abgegrenzter zu sein als irgendeine andere, deren Bekanntschaft ich bisher gemacht hatte. Alle Einwohner dieser Welt schienen einander zumindest flüchtig zu kennen; in der daraus entstehenden familiär-intimen Atmosphäre konnte ein einziges Niesen von tausend Menschen gehört werden.
Das Café Royal erwies sich bei meinem Eintritt als überfüllt und, wie es mir schien, im Zustand allgemeiner Konfusion. Aufgeregte Gruppen drängten sich um die Tische, flüsterten miteinander und warfen besorgte Blicke um sich.
»Doktor!«
Ich hielt in der erregten Menge Ausschau und erblickte Bernard Shaw; er saà zusammen mit einem anderen Mann, dessen ungehobelte Erscheinung mir sogleich miÃfiel, an einem Tisch. Dieser andere war kurz und untersetzt, mit zu eng zusammenliegenden Augen sowie einer mopsähnlichen Boxernase, und sein Kopf saà plump auf dem dicken, muskulösen Hals, der Kragen und Krawatte zu sprengen drohte.
»Das ist Mr. Harris«, stellte der Kritiker ihn mir vor, als ich zu ihnen stieà und mich in einen Sessel fallen lieÃ. »Er ist einer unserer bedeutendsten Verleger. Wir sitzen hier und trauern. Alles trauert«, fügte er sardonisch hinzu und blickte in die Runde. »Und spekuliert.«
»Worüber?« Sie blickten einander kurz an.
»Ãber die Torheit Oscar Wildes«, dröhnte Mr. Harris mit einer Stimme, die am anderen Ende des Raums zu hören sein muÃte. Meine Blicke drückten offenbar meine Verwirrung aus.
»Sie entsinnen sich ohne Zweifel meines plötzlichen Abgangs bei Simpsons gestern abend, Doktor?« fragte mich Shaw.
»Er konnte mir nicht gut entgehen.«
Shaw brummte und rührte, den Kopf auf eine Hand gestützt, abwesend in seinem Kaffee. »Es war der Beginn einer schrecklichen Nacht.
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