Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) by Benecke Mark

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) by Benecke Mark

Autor:Benecke, Mark [Benecke, Mark]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Das Neue Berlin
veröffentlicht: 2013-09-30T22:00:00+00:00


Der Fall Hetzel wirft seine ersten langen Schatten: geharnischter Brief des ostdeutschen Rechtsmediziners Professor Hansen aus Jena an den Anwalt Hetzels. Der ungewöhnlich scharfe Ton nahm die sich zuspitzende Auseinandersetzung zwischen Albert Ponsold (Rechtsmedizin Münster) und Otto Prokop vorweg. Es ist vorstellbar, dass Prokop diesen Text zumindest teilweise selbst verfasste, da er sich auch in anderen Fällen Kooperationspartner suchte, wenn es brannte.

Zweifellos hatte Hansen Deckung von Otto Prokop. Doch warum sollten die beiden ostdeutschen Gerichtsmediziner das Tischtuch zwischen den ersten Obduzenten, den späteren Gutachtern im Westen (der gerichtliche Erstgutachter Albert Ponsold hatte die Leiche nicht seziert, sondern nur Fotos angesehen) und sich selbst so energisch zerschneiden wollen? Schließlich ging es um einen vielfach wegen Diebstahl, Betrug, Verstoß gegen das Tierschutzgesetz – Hetzel hatte eine Katze getötet – und nun zuletzt wegen Mordes an einer Anhalterin verurteilten Mann.

Hetzel war wirklich ein harter Hund. 1942 hatte er einem Richter ins Gesicht gelacht, als dieser ihm vorhielt, eine Katze anstatt wie vorgeschrieben mit Strom mit einem Blutrührstock per Schlag auf den Kopf getötet zu haben. Die Tötung habe ihm Spaß gemacht, gab Hetzel damals zu Protokoll. Selbst das Urteil des Richters für diesen Verstoß gegen den Tierschutz – Hetzel fing sich einen »Wochenend-Karzer«, also ein Wochenende im Gefängnis ein – ließ Hetzel laut Akten bloß leise lächeln.

Dieses »Belachen der richterlichen Belehrung« wurde Hetzel nachteilig ausgelegt. Sie ist ein Kennzeichen gefühlskalter Personen, die nicht verstehen können, warum Aufregung um die Tötung eines Lebewesens entsteht. Später gab Hetzel allerdings an, er sei falsch verstanden worden. Er habe gemeint, es hätte ihn bloß gefreut, seiner Bekannten einen Gefallen zu tun (nämlich die Katze zu töten). Die Tötung als solche habe ihm keinen Spaß gemacht.

Diese alten Geschichten interessierten die im Osten arbeitenden Gutachter nicht. Prokop und seine Kollegen hatten zu viele Wenden und Wendungen im Leben gesehen, als dass sie sich vom Vorleben und von Vorlieben des Mannes beeinflussen lassen wollten. Es ging ihnen um die im Mordfall beweisbaren Tatsachen und um sonst nichts.

Ihre Zweifel an den Gutachten aus dem Westen waren grundlegend und weitreichend. Prokop fiel nämlich auf, dass vor allem die Diagnose »Erdrosseln mit Strick« möglicherweise ein Irrtum war.

Sein Kollege Hansen berichtete dazu, dass der Erstgutachter Ponsold zur Feststellung der angeblichen Drosselmarke »offenbar jenes [Foto] benutzt hat, welches nach der Sektion aufgenommen worden ist. Ich muss bei unvoreingenommener Betrachtung Herrn Ponsold beipflichten: In Fortsetzung der Hautmarke am linken Kieferwinkel finden sich schwache und blasse Zeichnungen, die als drei etwa parallele Streifen erscheinen und eine gewisse Ähnlichkeit mit ›Strickmustern‹ haben.

Ich würde es aber nicht wagen, diesen Befund als Beweis eines Erdrosselns anzusehen, wenn das fragliche Werkzeug [der Strick] nicht vorliegt und auch sonst kein vollgültiger Beweis für ein Erdrosseln zu führen ist [keine typischen Einblutungen].

Ich könnte diesen Befund als Beweis für die Verwendung eines Strickes dann ansehen, wenn mir verschiedene Drosselwerkzeuge als mögliches Tatwerkzeug vorgelegt würden: z. B. Draht, Schal, Strumpf, Schlips, Strick, Kette etc.

Nur anhand der qualitativ mäßigen Fotos und ohne sicheren Nachweis eines Todes durch Erdrosseln würde ich diese angedeuteten Hautmarken nicht als beweisend für eine Erdrosselung mit einem Strick ansehen.



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