Sexualität und sexuelle Perversionen by Erich Fromm
Autor:Erich Fromm [Fromm, Erich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: 978-3-95912-091-3
Herausgeber: Edition Erich Fromm
veröffentlicht: 2015-11-02T16:00:00+00:00
3. Zur Re-Vision der Perversionen am Beispiel des Sadismus
a) Erscheinungsweisen und Wesen des Sadismus
Sadismus ist, wie bereits betont, nicht einfach der Wunsch, zu verletzen und zu demütigen, sondern das Verlangen nach absoluter Herrschaft über ein anderes Wesen, einen Menschen oder ein Tier. Der Wunsch, zu verletzen und zu demütigen, ist zwar eine sehr häufige Erscheinungsweise dieses Verlangens, doch der Sadismus zeigt sich in der totalen Macht, selbst wenn sich diese mit einem gewissen Wohlwollen äußert. Der Wunsch nach Beherrschen ist oft die einzige Manifestation der sadistischen Beziehung zu anderen. Er lässt sich bei vielen Bürokraten, Schullehrern, Krankenschwestern und beim Umgang der Eltern mit ihren Kindern beobachten. Oft erscheint der Sadismus nur in dieser gesellschaftlich sanktionierten und leicht rationalisierbaren Einstellung, sei es, dass ein stärkeres Ausleben des Sadismus verdrängt ist und nur zugelassen wird, wenn es gesellschaftlich gebilligt ist (zum Beispiel als „Sturmschärler“), sei es, dass der Wunsch nicht so stark ist und sich mit einem geringeren Maß an Herrschaft zufriedengibt. Zwischen Beherrschen und dem Zufügen von Schmerz gibt es viele Übergangsformen. Jemanden anbinden, blockieren, drosseln und einschnüren, seine Spontaneität und seinen Willensausdruck unterdrücken – all dies sind Zwischenformen, doch bedeutet dies nicht notwendig, dass sie weniger Leiden und Schmerz verursachen als offene Grausamkeit. Sie sind nur gesellschaftlich akzeptabler und lassen sich leicht als im Interesse des „Objekts“ stehend rationalisieren. In all diesen Fällen ist sich der Sadist gewöhnlich der sadistischen Natur seines Verhaltens völlig unbewusst. In Fällen offener Grausamkeit ist die Verdrängung dieses Bewusstseins schwieriger. Doch gibt es eine Menge Beispiele offener Grausamkeit, die dann als für die Entwicklung des Kindes notwendig („es muss lernen zu gehorchen!“) rationalisiert wird.
Der Sadist wünscht sich eine vollständige, totale Beherrschung wenigstens über ein einziges Objekt oder für eine kurze Zeit. Dieser Wunsch kommt in der sexuellen Beziehung zum Vorschein. Für den männlichen Sadisten wird die Frau zum bloßen Objekt, zu seiner Schöpfung, zu einem Ding, mit dem er ohne Einschränkungen tun kann, was er will. (Für die weibliche Sadistin gilt das gleiche auf den Mann hin.) Ist [XII-091] der Sadismus mit Wünschen nach genitaler Sexualität vermischt, dann findet eine gewisse physiologische Befriedigung statt, die die weitere Ausbreitung der sadistischen Handlung begrenzt. Geht der Sadismus nicht mit sexueller Betätigung einher, dann kommt die Erregung nur durch das Erreichen des sadistischen Zieles oder durch die natürliche Erschöpfung an ein Ende. In den chronischen Erscheinungsweisen von verborgenem Sadismus wird der Wunsch praktisch nie befriedigt. [...]
Erscheinungsweisen von Sadismus, die nicht direkt mit sexuellen Wünschen verbunden sind und die sich nicht mit der genitalen Entspannung verbinden, sind Grausamkeiten, wie wir sie in den sadistischen Handlungen der SS-Männer in den Konzentrationslagern und in besetzten Territorien gesehen haben, das Schlagen von Gefangenen oder „Verdächtigungen“ durch sadistische Polizisten, der Mob, der lyncht, und viele andere Erscheinungsweisen, wo hilflose Menschen, eben weil sie hilflos sind, die sadistische Lust wecken und dem Sadisten als Objekte dienen müssen. Ein sehr häufiger Ausdruck von Sadismus ist das erbarmungslose Schlagen von Tieren; die gutartige Form von Sadismus, das Befehlenwollen, ist ein Motiv, das oft hinter der „Zuneigung“
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