Sehnsucht FC Bayern by Armin Radtke

Sehnsucht FC Bayern by Armin Radtke

Autor:Armin Radtke
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783895338359
Herausgeber: Verlag Die Werkstatt
veröffentlicht: 2011-07-12T22:00:00+00:00


1999/2000

GEWALTFANTASIEN

Ich hatte wieder die nötige Motivation gefunden, zu Bayern-Spielen zu fahren. Dazu brauchte es eine Weile, aber die Lust kam wieder. Und das auch ohne Oliver Kahns Spruch »Weiter, immer weiter«. Den gab es nämlich erst später. Die Sommerpause tat gut. Ich versuchte, weitestgehend Abstand zu gewinnen. Ein Vorhaben, das auch deshalb gelang, weil andere Dinge in meinem Leben in den Vordergrund rückten. Da war zum einen mein kommunalpolitisches Engagement. Ich war seit 1986 Mitglied der CDU und kandidierte als örtlicher Parteivorsitzender erstmals für den Kreistag des Rheinisch-Bergischen Kreises. In Bergisch Gladbach, im Stadtteil Refrath, hatte ich meinen eigenen Wahlkreis mit knapp 10.000 Einwohnern, den es trotz aussichtsreichem Listenplatz nun zu gewinnen galt. So ein persönlicher Wahlkampf lenkt erfolgreich von einem noch so ekligen Saisonende ab.

Zum anderen ging mein Studium zum Betriebswirt allmählich in die Endphase, und ich machte mir ernsthafte Gedanken um das Bestehen der umfangreichen Abschlussprüfungen. Sollte ich auf Bayern-Spiele in dieser Phase verzichten? Wahrscheinlich schon – hätte ich die Sache ernsthaft betrachtet und den Verstand entscheiden lassen. Aber bei diesem attraktiven Vorbereitungsprogramm fiel das wirklich schwer. Der Virus hatte mich wieder gepackt. Nach der kleinen Revanche im Ligapokalfinale gegen Werder Bremen in Leverkusen ging es bereits am nächsten Tag zum Freundschaftsspiel ins Leimbach-Stadion nach Siegen. Diesen nennenswerten Ground wollte ich mir genauso wenig entgehen lassen wie die Spiele in Oldenburg und Lübeck. Das waren ja mit dem Marschweg-Stadion und der Lohmühle nun wirklich alles sporthistorisch und oder architektonisch bedeutsame Bauten. Also nichts wie hin. Auf nach Norddeutschland. Und meine Prüfungsvorbereitungen? Das musste einfach irgendwie unter einen Hut zu bekommen sein.

Für drei Tage suchte ich mir im Oldenburger Land eine billige Pension und quartierte mich dort ein. Genau genommen kasernierte ich mich dort ein, überwand endlich meine Faulheit und büffelte in einem trostlosem, fast schon manisch-depressiv wirkenden Frühstücksraum so ungemein spannende Themen wie französische Rechnungslegung oder Deckungskapital-Verläufe. Nun ja, wer’s mag. Ich gehörte jedenfalls nicht dazu. Zu oft hatte ich mich in langweiligen Vorlesungen mit Gedächtnisleistungen wie: »Wer waren die Deutschen Meister seit Einführung der Bundesliga?« oder »Wie viele Schlachtgesänge und Anfeuerungsrufe kenne ich?«, erfolgreich abgelenkt. Ohne jedwede Chance auf Ablenkung schaffte ich in der norddeutschen Provinz tatsächlich auf den letzten Drücker wieder den Anschluss an den aktuellen Lernstoff.

Meinen Aufenthalt im Norden schloss ich mit dem Besuch des Freundschaftsspiels gegen den VfB Lübeck ab. Endlich einmal konnte ich auch den innerdeutschen Länderpunkt Schleswig-Holstein für mich abhaken. Die Gelegenheiten sind, bei näherer Betrachtung der dortigen Fußball-Landschaft, wahrlich rar gesät. Wenn sich dann entsprechende Gelegenheiten bieten, muss man sie auch nutzen. Nach dem knappen Sieg in der Marzipan-Stadt gönnte ich mir vor der weiten Heimfahrt, eigentlich völlig unangemessen, auf dem Stadionparkplatz eine Zigarre. Es war allerdings nicht irgendeine Zigarre. Diese phallus-ähnliche Raucherware war ein Überbleibsel aus der alten Saison und sollte eigentlich beim Endspiel in Barcelona, wenigstens aber beim Finale in Berlin, schmauchend vernichtet werden. Es war anders gekommen.

Dass ich das nun ausgerechnet in Lübeck nachholte, hatte mehrere Gründe. Erstens wurde das monströse Teil nicht schmackhafter, je länger ich es mit mir herumführte.



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