Sehnen lügen nicht by Achilles Achim
Autor:Achilles, Achim [Achilles, Achim]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Heyne TB
veröffentlicht: 2017-01-10T23:00:00+00:00
Scheitern IV
Ich hab’s versaut
Jetzt weiß ich, wie Uli Hoeneß sich nach seinem verschossenen Elfer am 20. Juni 1976 fühlte, der die Tschechoslowakei zum Europameister machte. Ja, auch ich habe eine einzigartige Chance vergeigt. Wie konnte ich mir nur einreden, dass ich diesmal deutlich schneller sei als sonst. Immerhin: Die anderen sagen nichts – sind halt tolle Sportskameraden.
Der ganz normale Läuferwahnsinn: Ultrastreckler Gaston hat diese Woche 160 Kilometer trainiert. Tim wechselt gerade vom SCC Berlin nach Regensburg, wo er noch härter für seine Läuferkarriere arbeiten will. Klaus trägt mal wieder zwei GPS-Uhren, weil er dauernd Gadgets testet. Ingalena gibt bald ein Laufseminar in St. Peter-Ording. Und der kleine Sohn von Olympiasieger Nils Schumann darf Kohlenhydrate essen. Wie herrlich – ein Mittagessen ohne Orthorexie-Wahnsinn. Darauf eine Extraportion Pommes.
Es ist Sonntagmittag, der Stadtlauf in Berlin-Steglitz ist vorbei, und zwei Dutzend Läufer aller Klassen schwatzen bei Pizza und Käsekrusten-Pute. Hier spachtelt zusammen, was leistungsmäßig nicht ganz zusammengehört: Könner und Volksschleicher wie ich. Nach unserem meinetwegen sehr knapp gescheiterten Weltrekordversuch hat tatsächlich zusammengefunden, was im richtigen Leben eher ein Mythos ist: die große Läuferfamilie. Und niemand ist mir böse. Jedenfalls zeigt es keiner.
Normalerweise würde jeder von uns nach einem Wettkampf stumpf in die Gegend stieren und all die Gründe analysieren, warum es wieder so langsam lief: Wind, Strecke, Wärme, Kälte, Material, das Übliche halt. Allenfalls würden wir mit anderen Lauf-Nerds Zahlen austauschen, wahrscheinlich aber eher einsam im Auto hocken und hoffen, dass der Krampf im Bremsbein nicht wieder kurz vor der Baustelle kommt, weshalb man unlängst mit 170 Stundenkilometern durchraste. Läufer sind Eigenbrötler. Hätte man geschwätzige Geselligkeit gewollt, wäre man bei Fußball oder Walking gelandet.
Gemeinsam hatten wir an diesem Sonntagvormittag versucht, den Weltrekord über zehn Kilometer (26,44 Minuten von Leonard Komon) mit 20 Menschen zu knacken, die jeweils 500 Meter sprinteten. Vor den letzten 500 Metern, die meine waren, lagen wir noch auf Rekordkurs. Dann kam ich. Ich hatte wirklich trainiert, ein wenig.
Früher lief der Sprint mal ganz gut. In meiner Erinnerung rannte ich als Junge 12, vielleicht 13 Sekunden auf 100 Meter. Kann auch sein, dass es nur 75 Meter waren. Oder Sekunden. 40 Jahre später: Meine ersten Geheimtests über 95 Meter (spätes Uhrdrücken) mit fliegendem Start waren leider ernüchternd. Unglaublich, welche Körpergegenden schon nach 20 Metern unerträglich schmerzen. Auf der Hälfte knirschen die Knochen bedrohlich, ab Meter 70 setzt der unkontrollierte Taumelschritt ein. Und dann diese Uhr: 19,4 Sekunden. Kann nicht sein.
Misst das gnadenlose Ding nach britischem Duodezimalsystem? Die schlechteste aller Nachrichten: Ich soll nicht 100, sondern 500 Meter rennen. Trotz tapferer Trainingseinheiten im Wilmersdorfer Stadion, sicherheitshalber nach Einbruch der Dunkelheit, bleibt der Algorithmus meiner Schnellkraft unverändert: Pro 100 Meter werde ich 2 Sekunden langsamer, das letzte Fünftel dauert also 27 Sekunden, was über den halben Kilometer erschreckende 115 Sekunden macht plus gute zwei Minuten Schwarzbild vor Augen infolge vollständiger Erschöpfung.
Lauflegende Emil Zatopek soll 60 Intervalle à 400 Meter absolviert haben, nicht pro Saison, sondern an einem Tag, sogar an einem Stück. Der rasende Finne Paavo Nurmi wiederum hat gleich zweimal am Tag über längere Strecken trainiert und zwischendrin noch ein paar kurze knackige Einheiten eingelegt.
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