Seelenangst by Veit Etzold

Seelenangst by Veit Etzold

Autor:Veit Etzold [Etzold, Veit]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783838725925
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2013-06-24T22:00:00+00:00


4

»Trinken wir einen Kaffee?«, fragte Freese. »Sie müssen ja ohnehin warten, bis das MEK so weit ist. Dann könnten Sie mir bei der Gelegenheit etwas über Ihre Arbeit erzählen.«

Auf Claras Stirn bildete sich eine steile Falte. »Ich weiß nicht, ob wir jetzt Zeit dafür haben.«

»Es würde Bellmann bestimmt gefallen. Schließlich soll ich Sie bei dem Fall unterstützten. Und das geht nur, wenn ich in etwa weiß, was Sie machen.«

Clara schaute auf die Uhr. Der Zentralrechner des BKA war von MacDeath mit dem Täterprofil gefüttert worden, hatte bis jetzt aber noch nichts ausgespuckt. Außerdem mussten sie ohnehin auf die Einwilligung des Bereitschaftsrichters warten, bevor sie in Sachen Mandy Weiss zur Tat schreiten konnten.

»Also gut, warum nicht«, sagte Clara schließlich. »Ich könnte sowieso einen Kaffee gebrauchen.«

Die Kantine des LKA im Erdgeschoss verströmte den spröden Charme der Fünfzigerjahre, obwohl das Gebäude viel jünger war. Aber es gab offenbar eine Art Behördengeist, der alles, was im Auftrag des Staates unterwegs war, gleich aussehen ließ. Graues Linoleum bedeckte den Boden wie eine riesige Pfütze Spülwasser, während draußen der Regen gegen die Scheiben trommelte.

Sie setzen sich an einen der Tische in der Nähe des Förderbandes, mit dem das schmutzige Geschirr in die Küche transportiert wurde. Die Kantine war leer. Nur an einem Tisch ein kleines Stück entfernt unterhielten sich zwei Kollegen von der Sitte.

»Wir müssen am Ende wissen, wer es getan hat«, sagte Clara, als beide an ihrem Kaffee nippten. »Und um das herauszufinden, müssen wir wissen, was sich zugetragen hat. War es ein Mord? Oder war es nur die Anwendung von Gewalt, aus der dann ein Mord wurde? Geschah es im Affekt? War der Mord beabsichtigt, oder war es ein Unfall? Oder haben wir es mit einem Täter zu tun, dem ein Mord Befriedigung verschafft? Warum fand alles genau so statt, wie es stattgefunden hat? Warum gab es eine Vergewaltigung nach Eintritt des Todes, nicht aber davor? Warum wurden keine Wertsachen mitgenommen? Warum wurde die Tür nicht aufgebrochen? Weil sie schon offen war?«

»Oder weil das Opfer den Täter kannte.«

Clara nickte. »Das ist sehr oft der Fall. Kennen Sie die Fernsehkrimis mit den Rechtsmedizinern?«

»Ein paar schon.«

»In diesen Krimis werden die Angehörigen oft in die Rechtsmedizin gebeten, um einen Toten zu identifizieren. In der Wirklichkeit findet so etwas nie statt.«

»Warum nicht?«

»Die Rechtsmedizin ist weit genug fortgeschritten, dass man einen Toten auch so identifizieren kann. Anhand von Zahnstatus und DNA kann man fast alles feststellen. Deshalb braucht man die Angehörigen nicht. Aber es gibt noch einen weiteren Grund.« Clara trank von ihrem Kaffee und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die Decke und der Linoleumfußboden waren so grau und schmutzig wie der Himmel draußen. »Es wäre kontraproduktiv, die Angehörigen den Toten identifizieren zu lassen.«

»Wieso?«, fragte Freese.

»Weil statistisch gesehen die meisten Menschen von ihren Angehörigen ermordet werden.«

Freese hob die Augenbrauen. »Sie könnten also versucht sein, nicht die Wahrheit zu sagen.«

»Schön ausgedrückt«, sagte Clara. »Ja. Könnten sie.«

Freese nippte vorsichtig an seinem Kaffee und zog die Lippen zurück. Er wusste offenbar noch nicht, dass der Kaffee in der Kantine des LKA das Heißeste war, was man sich vorstellen konnte und seltsamerweise nur sehr langsam abkühlte.



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