Schwestern der Nacht by Masako Togawa

Schwestern der Nacht by Masako Togawa

Autor:Masako Togawa
Die sprache: deu
Format: epub


5

Shinji stieg das höhlenartige Treppenhaus hinauf; das Echo seiner Schritte war das einzige Geräusch an diesem finsteren, bedrückenden Ort. Höher und höher, sieben Stockwerke; seine Füße, völlig erschöpft nach diesem Tag, fühlten sich an wie Blei. Nach 18 Uhr wurden die Aufzüge abgestellt und die Lichter in der Halle gelöscht. Endlich kam er im siebten Stock an; er machte eine kurze Pause, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.

Dann öffnete er die Tür zum Büro. Auch hier hatte sich die Dämmerung eingeschlichen. Mutsuko Fujitsubo, die Sekretärin seines Chefs, saß mit leerer Miene mutterseelenallein an ihrem Schreibtisch. Sie war ein bescheidenes, vom Schicksal benachteiligtes Geschöpf; auf ihrer Nase saß eine starke Brille mit breitem bernsteinfarbenem Gestell. Sie hatte vor zwei Jahren, gleich nach dem Abschluß am Junior College, hier angefangen.

»Hallo! Tut mir leid, daß es so spät geworden ist! Ist der alte Herr noch da?«

»Ja. Er liest den Bericht der Detektei.« Sie deutete resigniert auf eine Tür am anderen Ende des Zimmers.

Shinji wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und ging dann erfrischt in Hatanakas Büro. Das Mädchen folgte ihm, den Stenoblock in der Hand.

Der Alte streckte sich in seinem tiefen Sessel. »Wie man sieht, haben Sie hart gearbeitet.« Sein Ton war barsch, seine Stimme schien vor Trägheit zu ersticken. Shinji setzte sich, zog ohne weiteres Trara sein Notizbuch aus der Tasche und begann mit seinem Bericht. Das Mädchen beobachtete er dabei aus den Augenwinkeln, um sicherzugehen, daß sie mit dem Schreiben hinterherkam. Seine Stimme schien der einzige Laut in diesem schweigenden, finsteren Gebäude zu sein.

»Ich habe heute die Gespräche mit den Frauen auf der Liste zu Ende gebracht. Ich fand heraus, daß sie alle bereits von der Polizei vernommen worden sind und daß ihre Fragen in die gleiche Richtung zielten wie meine: Hat Ichiro Honda jemals versucht, sie zu erwürgen?«

»Und hat er?«

»Aus zwei der Damen war nichts rauszukriegen. Und auch was die anderen betrifft — Sie müssen zugeben, daß es nicht gerade eine alltägliche Frage ist. Aber von diesen dreien, die bereit waren zu reden. . . zwei verneinten es entschieden, und bei der dritten bin ich mir absolut sicher, daß nichts dergleichen vorgefallen sein kann.«

»Kein Wunder, daß sie von der Staatsanwaltschaft nicht in den Zeugenstand gerufen worden sind«, schnappte der Alte.

»Ja, aber weshalb nicht von der Verteidigung?«

»Weil die Idioten versucht haben, seine amourösen Abenteuer geheimzuhalten! Sie wollten verheimlichen, daß er ein Frauenheld war; ich bin selbstverständlich völlig anderer Meinung. Das Gericht, vor dem sich Ichiro Honda verantworten mußte, ist für das Recht, nicht für die Moral zuständig! «

>Genau meine Meinung<, stellte Shinji mit heimlicher Genugtuung fest. Laut sagte er: »Aber ich habe heute auch was Interessantes entdeckt. Michiko Ono, die bei einer Bücherei arbeitet, hat einen neun Monate alten Sohn und behauptet, Ichiro Honda wäre der Vater. Wenn wir sie ein bißchen bearbeiten, ist sie vielleicht bereit, zu seinen Gunsten auszusagen.«

»Und wie lange dauerte ihr Verhältnis mit Honda?«

»Nur einen Tag«, gestand Shinji verlegen, und der Alte stöhnte vernehmlich.

»Dieses Kind wird in dem Bericht der Detektei mit keinem Wort erwähnt.



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