Schwarze Mutter by Ingvar Ambjørnsen
Autor:Ingvar Ambjørnsen [Ambjørnsen, Ingvar]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Nachdem ich den ersten Eindruck von ihr bekommen hatte, ging die Arbeit leichter. Ich kannte sie jetzt. Sie schien dort oben zu sitzen und geduldig darauf zu warten, dass ich sie zu Tage holte, dass ich ihr die richtige Form gab. Der Widerstand, den ich zu Anfang gespürt hatte, war jetzt verschwunden, und ich schnitzte rasch und sicher.
Auch nachts, wenn ich vor dem Kamin saà und Holzspäne ins Feuer warf, war sie da. Ich hatte sie unter der Haut, konnte sie hervorbeschwören, wenn ich das wollte. Ich war nicht auf eine menschliche Frauengestalt aus, sondern auf ein Symbol des groÃen Kreislaufs. Ich hatte auf dem, was zum Sockel werden sollte, einen dicken Ast stehenlassen. Er beschrieb zuerst einen Bogen und richtete sich dann auf. In einigen kurzen Jahren würde er sich mit grünem Blattwerk zum Himmel erheben. Und ich dachte weiter in die Zukunft. Bald würde dieses Haus der Scheune folgen, und dann würde der Hof noch weiter überwuchern. Es würde noch Spuren von Menschen geben, aber das wäre dann auch schon alles. Spuren. Und über den Ruinen, zwischen den hohen Bäumen oben am Hang, würde sie sitzen. Vielleicht würde jemand vorbeikommen, vielleicht auch nicht. Für mich würde das Wissen ausreichen, dass sie hier oben saÃ. Dass sie nicht zwischen vier Wänden eingequetscht war, nicht abgebildet in Zeitschriften und Katalogen. Sie würde hier in Wind und Windstille sitzen. Würde auf den Wurzeln ruhen, die sie schlieÃlich auch geschaffen hatten, Und ganz langsam würde auch sie, wie alle Riesen des Waldes, wieder zu Erde werden. Sie könnte mein Grabstein werden. Oder meine Zeugin.
Die grobbehauene Skulptur war nun fertig. Ich machte mich an den feineren Teil der Arbeit, die Ausarbeitung. Rundete die Formen ab, gab dem Gesicht Züge, den Augen Leben. Und während ich eines Tages eben am Gesicht arbeitete, hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Nicht von den vielen Augenpaaren des Waldes, sondern von Augen wie meinen, von einem Menschen. Ich legte das Schnitzmesser weg, schaute mich um und horchte. Es war ganz still. Ich musterte die Umgebung, konnte aber nichts sehen. Als ich weiterarbeitete, hatte ich aber trotzdem das Gefühl, überwacht zu werden. Ich hätte schwören können, dass irgendwer im tiefen Schatten zwischen den Tannen stand und mich beobachtete. Im Grunde machte mir das nichts aus. Nichts daran konnte mich an das Gefühl des Unbehagens erinnern, das mich auf dem Rückweg von Ãygarden überwältigt hatte.
Ich formte ihre Lippen. Den Mund, den ich unten auf dem Hof vor mir gesehen hatte, hatte ich verworfen. Er war verzerrt gewesen, und ich wollte einen Mund, der von Ruhe zeugte. Ich wollte sie als sterbendes Wesen zeigen, das sich mit dem groÃen Kreislauf versöhnt hatte, als ein Wesen, das Abschied von Angst und Schmerz genommen hatte.
Ein Zweig knackte.
Er stand ein gutes Stück entfernt hinter mir oben am Hang. Die Krempe eines weichen Hutes tauchte sein Gesicht in Schatten. Er trug dunkle Kleidung, Fries vielleicht, und hohe Schaftstiefel. Ãber seiner rechten Schulter konnte ich die Läufe von zwei Schrotgewehren sehen.
Wir standen da und blickten uns an.
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