Schottische Disteln by Canetta Christa

Schottische Disteln by Canetta Christa

Autor:Canetta, Christa
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Weltbild
veröffentlicht: 2013-04-19T16:00:00+00:00


XIII

Andrea war früh aufgewacht. Es zog sie nach Westen in das Land der Einsamkeit. Sie wollte die tief stehende Morgensonne für Landschaftsaufnahmen nutzen, mittags in den schattigen Inverewe Gardens arbeiten und auf dem Rückweg einige berühmte Ruinen besichtigen.

Verschlafen und im Morgenmantel kam die Wirtin herunter, als sie Schritte auf der Treppe hörte.

»Ich wollte Sie nicht wecken. Ich möchte mich einfach still davonschleichen und unterwegs frühstücken«, entschuldigte sich Andrea für die Störung in der Dämmerung.

»Kommt gar nicht infrage. Sie sind mein Gast, und Sie bekommen ein gutes Frühstück vor der Abfahrt. Setzen Sie sich, in fünf Minuten steht alles auf dem Tisch. Möchten Sie Tee oder Kaffee?«

»Lieber einen starken Tee, danke.«

Andrea sah sich in der jetzt leeren Gaststube um. Immer war sie schnell hindurchgelaufen, weil der Raum voller Männer, voller Tabakqualm und Bierdunst war. Jetzt betrachtete sie die Wirtsstube mit mehr Aufmerksamkeit, immerhin war der Pub das Zentrum des kleinen Straßendorfes, eine Art Sammelstelle für Informationen, und sie konnte verstehen, dass er abends überfüllt war.

Trotz der frühen Stunde war der Raum bereits gereinigt, und von den gebohnerten Tischplatten stieg ein leichter Duft von Lavendelwachs auf. Wer weiß, wann die Wirtin nach dem letzten Gast zur Ruhe gekommen war? Auf den blanken Holztischen standen kleine Vasen mit künstlichen Blumen, auf den Fensterbrettern schrumpften einige Grünpflanzen vor sich hin, und im Kamin war bereits das Holz für das nächste Feuer gestapelt.

»So, hier ist schon mal der Anfang.« Die Wirtin stellte Toast und Butter, Orangenmarmelade und aufgeschnittene Wurst vor sie hin. Dann ging sie in die Küche und holte die Teekanne und Gebäck.

»Der Tee wird Ihnen gut tun, ich nehme immer die beste Yorkshire-Mischung, mein Mann kommt von dort, und der Tee schmeckt den Leuten hier.«

Andrea bedankte sich und griff ordentlich zu. Sie hatte wirklich Hunger, denn gestern Abend war sie ohne etwas zu essen ins Bett gegangen, vollkommen mit den Gedanken an Ryan und einen Antikhandel und mit ihren Zukunftsträumen beschäftigt. Dann verabschiedete sie sich, bedankte sich für das Frühstück und reservierte das Zimmer auch für die nächste Nacht.

Als sie Inverness hinter sich hatte und auch die neu entstehenden Industrieanlagen von Cromarty, wo nach Marks Angaben das größte Industriegebiet im Norden Schottlands entstehen sollte, begann die Einsamkeit. Je weiter sie nach Westen kam, umso schmaler wurde die Landstraße. Sie war zwar als landschaftlich schöne Strecke ausgewiesen, hatte aber nur zwei sehr schmale Fahrbahnen, und bei Gegenverkehr hatte Andrea Mühe, den Wagen so zur Seite zu fahren, dass es keine Kollision gab, denn meist waren es große Viehtransporter oder landwirtschaftliche Maschinen, die ihr entgegenkamen.

Die Gegend glich den Highlands, allerdings fehlten die vielen Steinwälle, die weiter östlich die Weiden begrenzten und das Land vor Stürmen schützten. Hier wirkte alles großräumiger, freier, einsamer und wilder. Sie dachte daran, wie Mark ihr abends, beim Dinner in dem gemütlichen Fischrestaurant, von dem Schicksal der Kleinbauern erzählt hatte, die im vergangenen Jahrhundert gewaltsam ausgesiedelt wurden, weil Großgrundbesitzer den Wert der Schafwolle erkannten und riesige Herden hier ansiedeln wollten.

Das Land wurde regelrecht entvölkert und gehörte bis heute wenigen Großfamilien. Ein paar üppige Schlösser und einige Straßen wurden gebaut, aber Menschen gab es kaum noch.



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