Schnitt by Raabe Marc

Schnitt by Raabe Marc

Autor:Raabe, Marc
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2012-05-07T16:00:00+00:00


Kapitel 33

Berlin – 19. September, 16:25 Uhr

Vals Anruf hatte Gabriel von einer Klippe gestoßen. Er hatte nicht gewusst, dass er so nah am Abgrund gestanden hatte. Jetzt befand er sich im freien Fall.

Die Wirkung war verheerend, wie bei einer Überdosis Kokain. Sein Herz raste, ebenso wie seine Gedanken. Immer wieder überfiel ihn ein heftiges Zittern, als hätte er Fieber, während sein überreizter Körper nach Schlaf schrie.

Er mobilisierte seine letzten Reserven, wie ein Drogensüchtiger auf der Jagd nach dem rettenden Schuss, und kaufte eine Packung Schlaftabletten.

Der Schlaf fühlte sich an wie der Tod.

Als er aufwachte, hatte er den Schlafanzug an. Er wunderte sich, warum er noch passte. Luke Skywalker schlackerte locker auf seiner elfjährigen Brust, vor ihm schlugen Flammen in den blutrot gefärbten Nachthimmel. Das Haus brannte lichterloh, aber er wusste, dass es nichts half, noch länger zu warten. Er musste hinein. Barfuß lief er über das glühende Pflaster, die Finger seiner rechten Hand umklammerten den Saum seines Schlafanzugs.

Die Haustür stand offen, der Rahmen bestand aus nichts als Flammen, und direkt hinter der Schwelle war die erste Stufe der Kellertreppe. Er stieg mitten in das Meer aus flirrender Hitze, die nackten Füße Stufe um Stufe abwärts in den Keller. Die Wände leckten mit roten Zungen nach ihm, und die Treppe nahm kein Ende, auch nach tausend Stufen nicht. Er sah sich um und erschrak, direkt hinter ihm befand sich immer noch die Haustür, und im Türrahmen stand ein Feuerwehrmann, oder war es ein Polizist?, der ihm die Hand reichte. Er kannte das Gesicht des Polizisten, das wusste er, aber er wollte die Hand nicht nehmen, schlug sogar nach ihr und rannte weiter, die nie endende Treppe hinab, und stürzte. Als er sich erhob, war er plötzlich im Labor und bekam Panik. Niemand durfte von Vaters Labor wissen. Auch nicht der Polizist!

Dann riss der Traum wie ein zu straff gespannter Faden. Schweißgebadet richtete sich Gabriel auf.

Es war 14:27 Uhr, er hatte fast 16 Stunden geschlafen. Seine Beine waren wie Gummi, aber sie trugen ihn. Im Spiegel starrte er den fremden Mann an und gab sich redlich Mühe, ihn mit kaltem Wasser zu vertreiben.

Was hatte Val zuletzt gesagt? Carpe Noctem? Das ergab nicht den geringsten Sinn.

Langsam versuchte er, das Chaos in seinem Kopf zu sortieren. Dass Val den Skywalker-Schlafanzug erwähnt hatte, war furchtbar für ihn gewesen. Die Schlafanzüge waren das Einzige, was David und er aus ihrem früheren Leben hatten retten können. Der Blutfleck am Saum ist der Stempel, den der Horror dieser Nacht in den Stoff gedrückt hatte. Und auch wenn Gabriel über keinerlei Erinnerung mehr darüber verfügte, wann und wie der Abdruck auf den Saum geraten war, er wusste zumindest, dass der Abdruck vorher nicht auf dem Schlafanzug gewesen war.

Vals Stimme hing wie ein Echo in seinen Gedanken. Am Saum des Schlafanzugs, da hattest du einen blutigen Abdruck. Du hast dich mit deiner Hand daran festgehalten, als du in den Keller gegangen bist.

Der Keller. Er hatte das also nicht nur geträumt, er war tatsächlich in jener Nacht in den Keller gegangen.



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