Schneesterben by Anne Chaplet
Autor:Anne Chaplet
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Paul Bremer 5
veröffentlicht: 2012-01-15T23:00:00+00:00
24
JVA Strang
Die Kirche ist die wichtigste Institution hier, ob Sieâs glauben oder nicht.« Der Anstaltsgeistliche trug Jeans und war müde.
Thomas sah sich zweifelnd um im Andachtsraum. Beton und Holz und Glas, die architektonischen Vorlieben der 70er Jahre. Aber wer die Tröstungen des Glaubens nötig hatte, sah darüber sicher gern hinweg.
»Den meisten hier wäre es lieb, ich käme jeden Tag und es gäbe jeden Abend Andacht.«
Der Mann bückte sich, hob eine zerknautschte Zigarettenschachtel vom Boden, guckte prüfend hinein und rückte sich mit dem Zeigefinger das fünfeckige Brillengestell wieder zurecht.
»Aber die Mehrheit hier ist doch sicherlich nicht â christlich?« fragte Thomas. Feinheiten wie »katholisch« oder »evangelisch« wollte er gar nicht erst ansprechen.
»Kommtâs darauf an?« Der Pfarrer warf die Schachtel in den Abfalleimer, der vor dem Brett mit den Aushängen stand. Dort fanden sich Verlautbarungen der Anstaltsleitung, Suchmeldungen und Veranstaltungshinweise. Es gab einen Gesangsverein im Knast, eine Selbsthilfegruppe für Drogenabhängige, einen FuÃballclub und eine Theatergruppe. AuÃerdem standen szenische Aufführungen, Liederabende, sogar Dichterlesungen ins Haus â demnächst kam ein Krimiautor. Das paÃte ja.
»Sie können schreiben oder lesen lernen und Deutschkurse belegen. Wir haben Sportanlagen und eine Gärtnerei â was will man mehr?« Der Mann versuchte, enthusiastisch zu klingen.
»Um so schöner für Sie, wenn die Jungs auch noch in die Andacht kommen, oder?«
Kam Pjotr hierhin? Akif? Er konnte sich das schwer vorstellen.
»Natürlich kommen sie. Die Andacht ist für alle unsere Abteilungen offen.«
Der Anstaltsgeistliche hatte die Zettel mit Veranstaltungen, die längst über die Bühne gegangen waren, vom Brett genommen und einen Hinweis auf die Segnungen und Wirkungen einer Fastenwoche hingehängt. Er sah zu Thomas herüber, der zurücklächelte. Der Mann gefiel ihm.
»Sie verstehen nicht. Tut mir leid, ich hätte mich vielleicht klarer ausdrücken sollen.« Der Pfarrer räusperte sich. »Wir sind deshalb so beliebt, weil wir die gröÃte offene Tauschbörse im ganzen Knast sind. Bei uns werden Kassiber geschmuggelt, wird gedealt, werden Nachrichten gehandelt, fallen sich Verbrecher in die Arme, die man aus gutem Grund in verschiedene Abteilungen verlegt hat. Wir sind der heimliche Basar, das Netzwerk, die Clearingstelle.«
»Aberâ¦Â«
»Und meine Predigt ist die nötige Geräuschkulisse, damit das alles reibungslos funktionieren kann.«
Der Pfarrer muÃte Thomas angesehen haben, was er dachte. »Sie meinen, man sollte als Kirchenvertreter nicht groà fragen, auf welchen Wegen die Herren zum Herrn finden?«
Thomas dachte an gestern, daran, wie man vor den Augen der Justizbeamten einen Mann zusammengeschlagen hatte. Dachte an Eule, dachte an das Kokain und den Schnaps und die Mobilfunkgeräte, die hier frei zu kursieren schienen. Er zuckte mit den Schultern.
Der Pfarrer seufzte. »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen den wirklichen Andachtsraum, in dem alle den gleichen Götzen anhimmeln.« Er zögerte einen Moment. Dann hielt er Thomas die Hand hin: »Max Postel«, sagte er.
Der Weg zur Sporthalle führte durch mehrere Korridore und Eisentüren nach drauÃen. Thomas hielt sein Gesicht in die kühle Luft. Auf dem FuÃballplatz droschen fünf Männer das Leder durch die Gegend. Durch die Glasfenster der Sporthalle sah man zwei Mannschaften Basketball spielen.
Der Kraftraum lag gleich hinter dem Eingang zur Sporthalle. Als Postel die schwere Tür aufzog, schlug ihnen eine Wolke von Männerschweià entgegen.
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