Schnee im April by Aly Cha

Autor:Aly Cha [Aly Cha]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Frauen, Japan, Schicksal
ISBN: 978-3-0369-9120-7
Herausgeber: Kein & Aber AG
veröffentlicht: 2015-07-19T16:00:00+00:00

Kioto, am 6. Dezember 1901

Lieber Mr. Mosse,

mehrere Monate sind vergangen, seit ich Ihren letzten Brief erhalten habe. Bitte nehmen Sie meine aufrichtige Entschuldigung entgegen, dass ich Ihnen nicht früher geantwortet habe. Ich habe stets an Sie gedacht und kann nicht zählen, wie oft ich mir gewünscht habe, mit Ihnen über das zu sprechen, was sich im vergangenen Sommer ereignet hat.

Mir ist der unglaublichste Zufall meines Lebens zugestoßen. Ich nenne es einen Zufall, da er mich ohne Vorwarnung überfallen hat. Ich wünschte, ich könnte meinen Gefühlen so gut Ausdruck verleihen wie die westlichen Schriftsteller, aber mir fehlen die Worte, wenn ich diese Dinge zu beschreiben versuche. Vielleicht schäme ich mich auch nur für mein Verhalten oder muss einfach lernen, so geradeheraus zu sein wie jemand aus dem Westen.

Bevor ich Ihnen berichte, was ich in den vergangenen Monaten erlebt habe, möchte ich Sie bitten, das, was ich Ihnen erzähle, für sich zu behalten. Sie sind der einzige Mensch, dem ich mich anvertrauen kann. Ich brauche dringend jemanden, der sich meine Geschichte anhört. Ich verspreche, dass Ihnen keine Schwierigkeiten mit meiner Familie daraus entstehen werden.

Mr. Mosse, die Frau, die ich in meinem letzten Brief erwähnt habe, ist schwanger von mir, und wir sind auf dem Weg nach Osaka. Jetzt bekommen Sie wahrscheinlich einen Schreck. Noch einmal bitte ich Sie, meiner Familie nichts davon zu sagen. Geben Sie kein einziges Detail dieses Briefes preis. Als ich beschlossen habe, mit Michiko zu fliehen, wusste ich sehr genau, dass ich damit alle Bindungen an meine Familie durchtrenne. Ich bin mir der Konsequenzen völlig bewusst.

Sie werden mich vielleicht fragen, warum ich etwas so Unbesonnenes und Törichtes tue, aber ich bin zuversichtlich, das Richtige getan zu haben, und bereue nichts.

Sie haben einmal zu mir gesagt, Gott würde mir den richtigen Weg weisen, wenn ich Ihm nur ganz vertrauen würde. Mr. Mosse, ich vertraue ganz auf meine Entscheidung. Ich vertraue darauf, dass sich alles zum Guten wenden wird und ich ein Leben ohne Reue führen werde. Jetzt fühle ich mich sogar ein wenig wie Siddhartha, nachdem er den Palast verlassen hat. Die Hauptlast meiner Aufgabe habe ich noch vor mir, davon bin ich überzeugt. Aber ich habe keine Angst.

Allerdings muss ich meine Zukunft sehr sorgfältig planen, denn ich bin mir darüber im Klaren, dass meine Familie versuchen wird, mich zu bestrafen und mich nach Kobe zurückzubringen, falls sie mich findet. Ich habe vor, nach Amerika zu gehen, sobald unser Kind alt genug ist für die Überfahrt.

Es beschämt mich zutiefst, Sie um Ihren Beistand bitten zu müssen, Mr. Mosse, aber bitte helfen Sie mir dabei, den Ozean nach Amerika zu überqueren. Ich möchte mit meiner Familie ein neues Leben in einem neuen Land anfangen, in dem ich sein kann, wer ich bin. Ich werde mich bei Ihnen melden, sobald ich mich in Osaka eingerichtet habe, der Stadt, in der Sie leben. Ich hoffe, eines Tages an Bord eines Schiffes zu gehen, das in Ihr Land fährt. Voll Unruhe erwarte ich den Tag, an dem wir uns wiedersehen.

Stets

Ihr Kenzaburo Takeda

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