Schiffsdiebe by Paolo Bacigalupi

Schiffsdiebe by Paolo Bacigalupi

Autor:Paolo Bacigalupi
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: PeP eBook
veröffentlicht: 2012-01-23T23:00:00+00:00


14

OB SIE NUN RENNEN würden oder nicht – abhauen mussten sie auf jeden Fall. Flüsternd schmiedeten sie einen Plan, und dann hieß es abwarten. Nailer fiel es äußerst schwer wach zu bleiben. Obwohl er drei Tage lang in tiefster Ohnmacht gelegen hatte, konnte er kaum die Augen offen halten. Es war angenehm warm, und die Brise, die durch die Bäume fuhr, machte ihn schläfrig. Er legte den Kopf auf die Arme und nahm sich vor, Wache zu halten. Stattdessen schlief er ein, schreckte auf, schlief wieder ein.

Blue Eyes, die die ganze Zeit wachsam dagesessen hatte, legte sich hin, und der Halbmensch nahm ihren Platz ein. Jedes Mal, wenn Nailer unter gesenkten Augenlidern hervorspähte, starrte Tool ihn aus seinen gelben Hundeaugen an, so geduldig wie eine Statue. Schließlich übernahm Moby die letzte Wache. Der hagere Glatzkopf machte es sich auf einem Baumstumpf bequem und fing wieder an zu trinken. Sein Kopf sank herab, und bald war er eingeschlummert – offenbar verließ er sich auf die Ketten und darauf, dass die jungen Leute fest schliefen.

Aber Nailer lag geduldig wach, froh darüber, dass er nicht gefesselt worden war. Auch wenn er nicht dieser Kolonne angehörte, sorgte die Position seines Vaters dafür, dass er ein gewisses Vertrauen genoss. Außerdem war er gerade aus einem langen Fieberkoma erwacht, weshalb keiner ihn so richtig ernst nahm. Für sie stellte er keine Bedrohung dar – er war nur ein dünnes Kerlchen, das erst wieder gesund werden musste. Und das war nur gut so.

Ein Problem war allerdings, dass Blue Eyes die Schlüssel für die Ketten hatte, und das machte ihm höllisch Angst. Mit jemand, der sich auf den Lebenskult einließ, war nicht zu spaßen. Novizen suchten immer nach neuen Rekruten. Und sie hielten stets Ausschau nach frischen Opfern.

Sobald Moby anfing zu schnarchen, schlich Nailer möglichst lautlos zu Blue Eyes hinüber. Er ließ sich Zeit – schließlich hatte er schon sehr früh stehlen gelernt, und dabei kam es vor allem darauf an, unbemerkt zu bleiben.

Er hielt sein Arbeitsmesser fest umklammert; der Angstschweiß machte seine Hand glitschig. Es würde ihm auf keinen Fall gelingen, Blue Eyes zu durchsuchen, ohne sie zu wecken. Das Messer fühlte sich klein und nutzlos an, ein Spielzeug. Was er jetzt tun musste, war notwendig, aber Gefallen fand er keinen daran. Nicht dass er Skrupel gehabt hätte. Warum auch? Blue Eyes war für ihre Grausamkeit bekannt – er hatte mit angesehen, wie sie Leute folterte, die bei ihrer Quote gemogelt oder geliehenes Geld nicht rechtzeitig zurückgezahlt hatten. Er hatte erlebt, wie sie einem Mann die Hand abhackte, weil er Lucky Strike bestohlen hatte. Und wer wusste schon, wie viele Strandratten sie mit Drogen betäubt und ihrer seltsamen Kirche geopfert hatte? Sie war gemein und unbarmherzig, und Nailer zweifelte nicht daran, dass sie ihn und Pima und Nita umbringen würde, wenn sein Vater ihr das befahl, und sie würde deswegen nicht schlechter schlafen.

Nein, Skrupel hatte er nicht.

Und trotzdem, das Herz hämmerte ihm in der Brust, und das Blut rauschte ihm in den Ohren. Sein Vater würde einen solchen Mord mit kalter Effizienz begehen.



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