Schattengrund by Elisabeth Herrmann

Schattengrund by Elisabeth Herrmann

Autor:Elisabeth Herrmann
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-10-29T16:00:00+00:00


Siebenundzwanzig

Vorsichtig wie die Diebe schlichen sie durch das große Haus. Als Nico an »ihrem« Zimmer vorbeikam, blieb sie stehen. Ihr war gerade ein sehr unangenehmer Gedanke gekommen.

»Sag mal, wie viele Generalschlüssel gibt es denn?«

»Keine Ahnung.«

Leon öffnete ihre Tür und deutete auf das Schloss. »Dein Schlüssel steckt von innen. Das ist dir wahrscheinlich nicht aufgefallen. Wenn du drin bist, schließt du ab und lässt ihn stecken, dann kann keiner rein.«

Nico nickte, fühlte sich aber nicht im Mindesten erleichtert. Es schien eine ausgemachte Sache zu sein, dass sie in dem geschlossenen Hotel blieb. Wahrscheinlich hatte Leon auch recht, wenn er sie hierbehalten wollte. Noch eine Nacht in Schattengrund war ein großes Risiko. Aber sicherer fühlte sie sich hier auch nicht. Sie zog ihren Zimmerschlüssel ab, steckte ihn von außen ins Schloss und verriegelte die Tür. Dann versenkte sie das Ungetüm – der Schlüssel selbst war leicht und klein, aber der Anhänger stellte einen röhrenden Hirsch auf einer handtellergroßen Messingmedaille dar – in ihrer Hosentasche.

Leon wartete am Fuß der Treppe auf sie. Auf dem Weg zu ihm zählte sie die Türen: fünf links, fünf rechts. Zehn Zimmer waren also auf dieser Etage. Er ging voraus. Das Holzgeländer schmiegte sich in Nicos Hand, glatt poliert von Generationen, die hier schon hinauf- und herabgestiegen waren.

»Wie alt ist der Schwarze Hirsch?«

»Über hundert Jahre alt. Angeblich soll der Kaiser hier sogar mal ein Mittagsschläfchen gehalten haben.«

Sie erreichten das Dachgeschoss. Die abgetretenen Dielen knarrten, als sie den Flur hinuntergingen.

»Wo wohnst du?«

Er deutete auf eine der Türen, an denen sie gerade vorbeikamen.

»Zimmer vierunddreißig. Falls du Sehnsucht hast heute Nacht …«

»Träum weiter.«

Irgendwie gefiel ihr der Gedanke, wieder mit ihm unter einem Dach zu sein. Andererseits … Wenn Zach hinter den merkwürdigen Übergriffen steckte, war es vielleicht gar nicht klug zu bleiben. Also doch Schattengrund? Sie beschloss, die endgültige Entscheidung noch aufzuschieben.

Leon blieb am Ende des Ganges stehen. Die Tür war kleiner als die zu den Gästezimmern. Früher war es vielleicht einmal eine Gesindekammer gewesen. Nico zog es das Herz zusammen, als sie daran dachte, wie abgeschoben Fili hier oben gewesen sein musste. Leon steckte den Schlüssel ins Schloss. Mit einem Klacken sprang der Riegel zurück.

Leon drehte sich zu ihr um. »Sei nicht enttäuscht. Vielleicht ist es jetzt eine Wäschekammer oder so was. Willst du wirklich rein?«

»Mach schon.«

Er öffnete die Tür und tastete nach dem Lichtschalter. Eine Deckenlampe mit staubigem rosafarbenen Schirm beleuchtete die Kammer, die Nico so winzig vorkam, dass sie unwillkürlich den Kopf einzog. Die Wände waren schräg und mit Tapete beklebt. Links stand ein kleiner, uralter Schrank, in der Mitte unter dem Fenster ein Bett, rechts eine Kommode. Leon ging vor, Nico folgte ihm und sah sich um.

»Hier war ich noch nie.«

Sie setzte sich aufs Bett und strich mit der Hand über die billige Polyesterdecke. Am Kopfende reihten sich einige Plüschtiere auf: ein Teddy, ein Teletubbie – Nico lächelte, als sie das Wesen in die Hand nahm und sein Kopf hilflos herumbaumelte – und noch ein paar kleine, billige Häschen, lachende Kürbisse und Hunde. Darüber hing ein Regal: Bunte Bilderbücher, Malstifte, Pinsel und eine Puppe lagen auf den Brettern.



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