Schadrach im Feuerofen by Robert Silverberg

Schadrach im Feuerofen by Robert Silverberg

Autor:Robert Silverberg [Silverberg, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-03-22T16:00:00+00:00


Am nächsten Tag findet die Operation statt, deren Zweck das Auswechseln eines Teils der Bauchschlagader des Vorsitzenden ist. Schadrach, nach kurzem und unruhigem Schlaf erwacht, macht seine gymnastischen Übungen, frühstückt, kleidet sich an und geht durch die Sperre zur Traumastation, wie er es jeden Morgen zu tun pflegt. Da ihm noch Zeit bleibt, wirft er einen Blick in den Kontrollraum. Die tanzenden Szenenwechsel auf den Bildschirmen stellen Ausschnitte aus dem Leben der Zwei-Milliarden-Menschheit zur Schau, von der vielleicht zwanzig Prozent an Organzersetzung leiden, wandelnde Leichname, die sich mit Darmperforationen und aufgebrochenen inneren Geschwüren und in Zerfall befindlichen Organen durch die letzten Wochen und Tage ihres Daseins schleppen, während die meisten der anderen, die noch unversehrt sind, im Schatten der universalen Seuche leben, in dumpfer Schicksalsergebenheit ihren Beschäftigungen nachgehen und auf das Brennen in den Eingeweiden und das Blutspucken warten. Und alles das, während er, der leichtfüßige Schadrach Mordechai, privilegierter Leibarzt des Vorsitzenden, keine größeren Sorgen hat als die, daß er eventuell aus seinem so funktionstüchtigen Körper verstoßen und mit einem Tritt aus seinem schwarzen Hintern befördert wird, damit ein mongolischer Usurpator einziehen kann.

Abgesehen davon ist alles in bester Ordnung, nicht wahr? Richtig. Jawohl, Chef.

Als er geht, um den Vorsitzenden aus dem Schlafzimmer zur Chirurgie zu geleiten, überlegt Schadrach, wie er reagieren wird, wenn er dem alten Mann gegenübertritt. Sicherlich wird seine Miene das neue Wissen verraten; und sicherlich wird der schlaue alte Fuchs sofort sehen, daß sein vorbestimmtes Opfer eingeweiht ist. Doch dann entdeckt Schadrach, daß seine geheimnisvolle innere Ruhe ihn nicht einmal verläßt, wenn er dem Vorsitzenden in die wässernden, mißtrauischen kleinen Augen blickt. Er empfindet nichts, weder Furcht noch Zorn oder Verbitterung: der Vorsitzende ist sein Patient, er ist der Arzt, die Überwachungsinstrumente unter seiner Haut kitzeln und ticken und versorgen ihn mit Informationen, und das ist alles, in ihrer Beziehung zueinander hat sich nichts verändert. Er blickt den alten Mann an und denkt: Du hast ein heimliches Komplott angezettelt, um mir den Körper zu stehlen, aber auch das bleibt ohne Wirkung. Die ganze Sache behält den Anstrich des Unwirklichen.

»Nun, Doktor, wie geht es mir heute morgen?« krächzt Dschingis Khan II. Mao gutgelaunt.

»Ausgezeichnet, möchte ich sagen. Es ging Ihnen nie besser.«

»Sie wollen mir das Herz herausschneiden, nicht wahr?«

»Diesmal nur die Bauchschlagader«, sagt Schadrach. Er gibt den Pflegern ein Zeichen, und sie heben den Vorsitzenden behutsam auf den bereitstehenden Krankentransportwagen, decken ihn zu und fahren ihn hinaus.

Und dann sind sie alle wieder im Operationsraum versammelt; der Patient, der Leibarzt, der Chirurg, der Anästhesiearzt, die assistierenden Chirurgen, die Krankenschwestern und anderes medizinisches Personal, alle frisch gewaschen und desinfiziert, maskiert und in Weiß. Die hellen Lampen strahlen, die transparente, keimfreie Operationsblase ist versiegelt, die Filter und Pumpen tun ihre Arbeit, die Überwachungselektronik blinkt grün und rot und gelb, das neue Stück Bauchschlagader – Buckmasters? – liegt frisch und wie ein dicker, rosiger Wurm im Behälter, bereit, in des Vorsitzenden Bauch installiert zu werden.

Warhaftig, ruhig und von zuversichtlicher Gelassenheit, schickt sich wieder einmal an, den schmächtigen, abgezehrten Greisenkörper zu öffnen.

»Blutdruck?« fragt er.

»Normal«, sagt Schadrach.



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