Süß und ehrenvoll - Roman by Bastei Lübbe

Süß und ehrenvoll - Roman by Bastei Lübbe

Autor:Bastei Lübbe
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 2013-11-15T00:00:00+00:00


Euer Sohn Louis

Auf dem Weg nach Verdun herrschte eine gelöste Stimmung. Louis’ Männer waren froh, die kahlen, schlammigen Felder von Flandern hinter sich zu lassen. Sie dachten nicht daran, was sie in Verdun erwartete, und sangen im Zug auf dem Weg nach Bar-le-Duc und auf den Lastwagen, die sie von dort aus weitertransportierten. Als sie ausstiegen und sich für den Fußmarsch gruppierten, waren sie immer noch in gehobener Stimmung. Vielleicht versuchten sie, sich mit scherzhaften Zurufen, Hänseleien und munteren Liedern selbst Mut zu machen.

Doch je länger der Marsch dauerte, desto leiser wurden die Soldaten. Louis musterte seine neuen Untergebenen. Ein endloser Nieselregen erschwerte die Sicht, und im schwindenden Tageslicht war es schwer, die Gesichter zu unterscheiden. Die Männer gingen geduckt, niedergezogen von dem schweren Marschgepäck und den regennassen Uniformen, mit schmerzenden Rücken und wundgescheuerten Schultern. Selbst die Lieder, die sie bis zum Einbruch der Dunkelheit sangen, klangen immer grauer und monotoner.

Die letzten vier Kilometer gingen sie sogar schweigend, ganz darauf konzentriert, die Füße aus dem Schlamm hochzuziehen. Es stellte sich heraus, dass die Anziehungskraft des Schlamms diejenige des Erdballs bei Weitem übertraf. Mittlerweile war die Sicht so schlecht, dass die Soldaten kaum noch ihren Vordermann erkannten. Auf dem letzten Kilometer gingen sie bis zu den Hüften in einem zähen Morast, der mit dem Inhalt übergelaufener Latrinen und Leichenresten vermischt war, die der Dauerregen aus flüchtig gegrabenen, flachen Gräbern hinausgespült hatte. Louis versuchte vergeblich, seine Soldaten zu erkennen. In der Dunkelheit zeichneten sich schemenhaft Gesichter ab, die von Wollschals und unter den Helmen getragenen Mützen fast gänzlich verdeckt waren. Manche trugen Westen, die nicht zur Uniform gehörten, andere hatten die Hände mit Stoffstreifen oder Verbandszeug umwickelt, weil sie ihre Handschuhe verloren oder verschlissen hatten. Louis kniff die Augen zusammen. ›Ich bin einer von ihnen‹, sagte er sich, ›Fleisch von ihrem Fleische.‹ Er war stolz auf sie, auf ihre und auch auf seine eigene Zähigkeit und Ausdauer. Er teilte ihr Leiden, ihr Gefühl der Erniedrigung. Ja, es würde ihm nicht schwerfallen, seine Soldaten zu lieben.

Am Eingang zu den Schützengräben wurden die Neuankömmlinge sehnsüchtig von der Einheit erwartet, die sie ablösen sollten. Der Befehl lautete, sich in völliger Stille zu bewegen, um nicht die Aufmerksamkeit des Feindes zu wecken, der in diesem Moment der Ablösung gern angegriffen hätte. So gab es keine Gelegenheit, mit den Vorgängern ein paar Worte zu wechseln und einige praktische Ratschläge zu bekommen. Man konnte nur hoffen, dass die Vorgesetzten, die im Hinterland genaue Instruktionen bekommen hatten, ihre Soldaten richtig zu führen wussten.

Der Schützengraben war feucht; unerträglicher Gestank lag in der Luft. Louis spürte, dass er sich übergeben musste – obwohl er das Elend in den Schützengräben nun schon seit fast zwei Jahren kannte. Es war, als sitze ein Krebs in seinem Magen und kneife ihn mit spitzen Zangen, doch er beherrschte sich.

Im Morgengrauen entdeckte er, dass auf dem Boden des Schützengrabens Bretter lagen, von denen das dauernde Knacken stammte, das er in den Stunden der Dunkelheit gehört hatte. Je heller es wurde, umso stärker regte sich in Louis das unangenehme Gefühl, dass diese Bretter nicht direkt auf dem Boden lagen.



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