Russische Seele by Bronnenmeyer
Autor:Bronnenmeyer
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-02-04T05:00:00+00:00
VII.
ABHÄNGIGKEITSGRUNDLAGEN
Es gab verschiedene KGB-Schulen in der Sowjetunion. Nikolai wurde der Schule Nr. 367 in Irkutsk zugewiesen, Jewgenji kam nach Nowosibirsk. Der Geheimdienst war für sie der beste und vor allem schnellste Weg gewesen, um dem Fronteinsatz in Afghanistan zu entrinnen. Die Rote Armee traf in jenem unterentwickelten Land auf unerwartet heftige Gegenwehr und es war bereits in den ersten Kriegsjahren abzusehen, dass es noch Jahre dauern würde, die Mudschaheddin endgültig zu besiegen. Den Soldaten stand noch ein sehr langer, zermürbender Guerilla-Krieg bevor. Schlimmer als im Hindukusch konnte es beim Geheimdienst auf keinen Fall sein. Die Zulassung zum Dienst im KGB war kein Kinderspiel gewesen, es bedurfte einwandfreier Führungszeugnisse, man musste Parteimitglied und obendrein noch überzeugter Sowjetbürger sein. Nikolai und Jewgenji nahmen all diese Hürden auch deswegen, weil sie verdiente Afghanistan-Kämpfer waren.
Vor der endgültigen Zulassung stand aber für jeden noch ein persönliches Gespräch mit dem KGB-Chef des jeweiligen Militärbezirks. Nikolai musste dazu bei Generalmajor Sinajew antreten, einem untersetzten, kahlköpfigen Apparatschik, dessen Gesichtszüge starke Ähnlichkeit mit einer Dogge aufwiesen. Sein Büro befand sich im zweiten Stock eines unscheinbaren Betonbaus am Rand von Kabul. Es war Winter und ungewöhnlich kalt, anscheinend funktionierte die Heizung nicht. Der Raum war nicht sehr groß und nur spärlich mit einigen Holzmöbeln ausgestattet. An der Wand hing ein Bild des Generalsekretärs Breschnew und eines des KGB-Chefs Andropow. Gegenüber befanden sich etliche gerahmte Urkunden, die den Generalmajor als verdienten, tapferen und pflichtbewussten Diener der UdSSR auswiesen. Nachdem er stramm Meldung gemacht hatte, wurde Nikolai befohlen, sich hinzusetzen.
»Glauben Sie wirklich, dass Sie dem Geheimdienst Ihres Mutterlandes gute Dienste leisten können?«, bellte Sinajew, nachdem er Nikolai etwa fünf Minuten lang schweigend gemustert hatte.
»Genosse General«, antwortete Nikolai zackig, »ich habe hervorragende Leistungen auf der Offiziersakademie vorzuweisen, ich habe in Afghanistan gekämpft und bin in Erfüllung meiner Pflicht schwer verwundet worden. Wenn ich entsprechend weitergebildet werde, kann ich für das Komitee sicher sehr gute Arbeit leisten!«
»Jaja«, grollte Sinajew, »am Anfang habt ihr alle eine hohe Meinung von euch selbst, aber wenn’s drauf ankommt, kann man sich auf keinen verlassen! Trinken Sie Wodka?«
»Niemals, Genosse General!«
»Das sagen sie auch alle«, zürnte Sinajew weiter, »und wenn man Jahre der Ausbildung investiert hat, sind neunzig Prozent Alkoholiker«, seine rote Nase leuchtete fast, als er fortfuhr: »Beim KGB geht es nicht zu wie bei den Soldaten! Sie müssen viel mehr können und erheblich mehr wissen. Wie steht es zum Beispiel mit Ihren Literaturkenntnissen? Lesen Sie Bücher?«
»Selbstverständlich, Genosse General!«
»Dann nennen Sie mir den diesjährigen Leninpreisträger für Literatur«, befahl Sinajew, während er sich hinter seinen Schreibtisch setzte.
»Ivan Roschenko«, antwortete Nikolai nach kurzem, panischem Überlegen. Es war der Name seines Russischlehrers in der Grundschule gewesen.
»Noch mal Glück gehabt«, blaffte Sinajew, »ich werde Ihre Aufnahme in den KGB befürworten.«
Eine Woche später wurde Nikolai nach Irkutsk abkommandiert. Obwohl die KGB-Schule wieder eine Art Kasernierung darstellte, fühlte sich Nikolai erleichtert, dem Wahnsinn des Krieges entronnen zu sein. Und wieder gab es viel zu lernen: operative Tätigkeiten des KGB, nachrichtendienstliche Arbeit, Nachrichten- und Spionageabwehr der Hauptfeinde, Aufgaben des KGB im Krieg, Taktiken der Desinformation, Abwehr »ideologischer Diversion« und so weiter.
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