Russische Geschichte by C.H.Beck

Russische Geschichte by C.H.Beck

Autor:C.H.Beck [C.H.Beck]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-18T16:00:00+00:00


Protest der Unterschichten

Die vom Staat und den Eliten geknechteten Unterschichten wehrten sich im 17. und 18. Jahrhundert immer wieder gegen die Verschlechterung ihres Status. Es waren jedoch weniger die Leibeigenen als die persönlich freien Kosaken und (oft nichtrussischen) Staatsbauern der Peripherie und die Stadtbewohner, von denen die größeren Erhebungen ausgingen, die in den überregionalen Volksaufständen unter der Führung Bolotnikovs (1606/07), Razins (1670/71) und Pugačevs (1773–75) gipfelten. Der Pugačev-Aufstand, dem sich auch zahlreiche Leibeigene anschlossen, war für Adel und Regierung in der Folge ein Fanal der befürchteten sozialen Revolution.

Die Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 beseitigte einen Grundpfeiler des sozio-politischen Systems des Kaiserreichs Rußland. Der Adel blieb jedoch privilegiert und diente dem Herrscher weiter in Armee und Verwaltung. Mit der Industrialisierung formierte sich eine schmale Elite aus Unternehmern, Kaufleuten und Bankiers, ohne aber als Gruppe bestimmenden politischen Einfluß zu gewinnen.

Die Bauern waren nun zwar persönlich frei, doch blieben sie an die Gemeinde gebunden und unterlagen neben den steigenden Steuern langwierigen Ablösungszahlungen. Damit blieben trotz weiterer Reformen Relikte der Leibeigenschaft bis ins 20. Jahrhundert erhalten. Die Bauern als noch immer weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit blieben Bürger zweiter Klasse. Ihr Protestpotential stieg wieder an, da sie das den Gutsherren verbliebene Land für sich beanspruchten. Die infolge der Industrialisierung entstandene neue städtische Unterschicht der Arbeiter blieb in ihrer Mehrheit eng mit dem Dorf verbunden. Das auf die beiden Metropolen und die westlichen und südlichen Randgebiete konzentrierte, oft unter schlimmen Bedingungen lebende Industrieproletariat wurde zu einem neuen Faktor sozialer Destabilisierung.

Die Kluft zwischen Ober- und Unterschicht versuchten Vertreter der Gegen-Elite der Intelligenzia zu überwinden, zunächst mit Aufklärungsarbeit unter dem Volk, dann mit dem Ziel der Revolution im Namen des Volkes. In der Revolution von 1905 erhoben sich erstmals in der Geschichte Rußlands Teile der Ober- und Unterschichten gemeinsam gegen die Autokratie. Obwohl die Protestaktionen der radikalen Intelligenz, der Industriearbeiter und Bauern die Autokratie an den Rand des Abgrundes brachten, gelang es der Regierung noch einmal, die Oberhand zu gewinnen. Die Kluft zwischen oben und unten blieb bestehen; sie stellte, wie Leopold Haimson gezeigt hat, zusammen mit dem Gegensatz zwischen Regierung und (gebildeter) Gesellschaft einen doppelten Antagonismus dar, der die soziale und politische Stabilität weiter gefährdete.



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