Roter Flieder by Reinhard Kaiser-Mühlecker

Roter Flieder by Reinhard Kaiser-Mühlecker

Autor:Reinhard Kaiser-Mühlecker
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2012-08-07T00:00:00+00:00


4

Paul war von einem ausgedehnten Spaziergang zurückgekommen und lag ausgestreckt auf der braunen Couch in seiner Wohnung. Er war eben ein Stück auf dem Gehweg zwischen den Stadtbahnbögen und der breiten Gürtelstraße entlangspaziert, ganz in sich versunken, und auf einmal hatte er bemerkt, dass ein Geruch seine Gedanken, zumindest die letzten, gelenkt hatte. Er drehte sich um und blickte zurück. Da sah er den Flieder am Rand des Wiesenstreifens blassviolett blühen. Er wunderte sich. Jetzt noch? Vielleicht blühte er auch zu Hause noch, wo in der Regel alles später dran war als hier? Doch dort, um den Hof, blühte er in einem satten dunklen Rot, und auch das Weiß war anders als irgendwo sonst. Von da an hatte er an den Sommer gedacht.

Er lag auf der Couch und dachte an den Sommer, den er wieder in Rosental verbringen würde. Er wollte nicht, aber das zählte nicht, denn er konnte es sich nicht leisten, es nicht zu tun, das Leben in der Stadt war zu teuer, um in der vorlesungsfreien Zeit dazubleiben, wenn man auch gar nichts Besonderes machte. Und Paul machte weder etwas Besonderes, noch sonst sehr viel. Seit Monaten hatte er keine Vorlesung mehr besucht, an den Kursen, zu denen er angemeldet war und bei denen er zur Anwesenheit verpflichtet war – der Sezierkurs etwa –, nahm er nicht mehr teil. Er war nicht der Meinung, das Studium geschmissen zu haben, er war überhaupt keiner Meinung, denn es beschäftigte ihn nicht.

Es hatte mit der nicht bestandenen Prüfung begonnen, ohne sich zunächst deutlich zu zeigen. Paul blieb in der Folge darauf einfach ein paar Tage zu Hause in dem Glauben, es müsse nun so sein, er habe sich nach dieser neuen Erfahrung der intellektuellen Niederlage eine kurze Auszeit verdient. Also blieb er zu Hause. Es war die Zeit, nachdem Regina ihn verlassen hatte – nachdem sie einfach aus seinem Leben verschwunden war. Dann, auf Zureden seiner Freunde, besuchte er die Vorlesungen wieder, bat bei den Professoren, die die Kurse leiteten, um Entschuldigung – er sei unpässlich gewesen. Wenige Wochen vergingen so, scheinbar, äußerlich geregelt; er kam seinen studentischen Verpflichtungen nach. Doch was in ihm zu wachsen, zu wuchern begonnen hatte und wofür er keinen Namen hatte, keine Worte, wucherte unter der Oberfläche weiter. Er wusste nicht, was geschah, trotzdem reagierte er darauf, als wüsste er es. Er trank so viel wie nie zuvor. Einerseits machte ihm dieses viele Trinken Angst, andererseits hatte er das Gefühl einer Gewissheit, es müsse so sein, nur so könne er das, was in ihm wuchs, in Zaum halten. Immer öfter kam es bei Trinkgelagen vor, dass einer seiner Freunde ihm widersprach oder ihn sogar anfuhr, ohne dass er überhaupt etwas gesagt hatte. Das versetzte ihn bisweilen in Wut, die auch körperlich werden konnte. Er war immer noch ein Bauernsohn! Er hatte immer noch Muskeln! Er ließ sich doch nicht maßregeln, wo er noch nicht einmal etwas gesagt hatte! Es war auch hilflose Wut dabei, weil er fühlte, dass alles zerbrach. Und immer wieder Verzweiflung, weil



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