Rote Sonne, Roter Tiger by Kerner Charlotte

Rote Sonne, Roter Tiger by Kerner Charlotte

Autor:Kerner, Charlotte [Kerner, Charlotte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: China, Kulturrevolution China, Mao Zedong
ISBN: 978-3-407-74547-7
Herausgeber: Beltz & Gelberg
veröffentlicht: 2015-08-18T16:00:00+00:00


Der »Yan’an Spirit«

Wer in das nördliche Sowjet-Gebiet aufbrach, sagte: »Ich gehe auf den Langen Marsch nach Yan’an«. Wie in den roten Gebieten in den Jiangxi-Bergen wurden Wahlen abgehalten, Räte gebildet, es gab anfangs so etwas wie ein »Demokratiegefühl«.143 Man lernte und lehrte zusammen, spielte Theater und ging zu politischen Schulungen. Die Intellektuellen aus den Städten wollten die Trennung von Hand- und Kopfarbeit aufheben: Sie halfen auf den Feldern, züchteten Hühner und bauten Obst und Getreide an, aber auch Tabak für Raucher wie Mao. Die vielen jungen Leute – Mao Zedong gehörte als Mittvierziger bereits zu den Älteren – schienen manchmal in einem kommunistischen Pfadfinderlager zu leben. Eine neue und gerechtere Gesellschaft wollten viele schaffen.

Der Lyriker Ai Qing, der Vater des heute weltweit bekannten chinesischen Künstler Ai Weiwei, stieß 1941 dazu und trat ein Jahr später in die KP ein. Eine der bekanntesten Yan’an-Bewohnerinnen war die chinesische Literatin Ding Ling, deren Mann von der GMD getötet worden war; sie selbst war zeitweise inhaftiert gewesen, bevor sie sich zum Hauptquartier der Roten Armee durchgeschlagen hatte. Sie machte Agitprop-Theater an der Front und gab Parteizeitungen und Zeitschriften heraus.

Als späterer Herrscher wird Mao Zedong »alle, die für die Revolution tätig sind«, aufrufen, am »Stil des einfachen Lebens und harten Kampfes« festzuhalten, der die Yan’an-Arbeitenden zehn Jahre ausgezeichnet habe.144 Dieser »Yan’an Spirit« lockte auch linksorientierte Europäer und Amerikaner und Journalisten aus aller Welt, die Snows Buch gelesen hatten, zu den »roten Sternen«. Viele suchten das Gemeinschaftserlebnis.

Die kommunistische Führungsriege von Zhou Enlai bis Lin Biao, die hier zusammenlebte, wird mit Mao Zedong die Geschicke der Volksrepublik bis in die 70er-Jahre hinein bestimmen. Nach dem Langen Marsch formte nun Yan’an die Elite der Berufsrevolutionäre.

Mao selbst hatte seinen drei Jahre jüngeren Bruder Zemin um sich, der wieder für Wirtschaftsfragen verantwortlich war; er sollte 1943 von einem Militärmachthaber in der Nordprovinz Xinjiang gefangen und hingerichtet werden. In Yan’an arbeitete außerdem Maos alter Lehrer Xu Teli aus dem »Ersten Lehrerseminar« in Changsha, der bereits auf dem Langen Marsch dabei gewesen war. Er gehörte zu den »Fünf Alten von Yan’an«. Ihm schrieb Mao 1937 zum 60. Geburtstag: »Sie waren vor 20 Jahren mein Lehrer; Sie sind es noch heute und Sie werden in alle Zukunft mein Lehrer sein. (…) Für Sie heißt es: ›erst die Revolution‹, ›erst die Arbeit‹ und ›zuerst die anderen‹, wogegen für manche anderen die Devise lautet: ›erst meine Berühmtheit‹, ›erst meine Ruhe‹ und ›ich zuerst‹.«145 Xu organisierte das Bildungswesen, steigerte die Alphabetisierungsrate von 10 auf 50 Prozent.

Aus einem zehnjährigen politischen Exil in der Sowjetunion kam 1939 Maos alter Schulfreund Xiao San in das befreite Gebiet. Der Schriftsteller wurde Vorsitzender des Kulturclubs. Im Frühjahr 1940 ließ er seine deutsche Frau Eva, eine Fotografin, und den einjährigen Sohn nachkommen. Dazu hatte Mao persönlich die Erlaubnis gegeben. In Yan’an, wo die Familie drei Jahre lang blieb, brachte die Deutsche ihren zweiten Sohn zur Welt. Wie alle Ausländer erhielt auch die 29-Jährige politischen Unterricht auf Englisch; Eva Xiao lernte Chinesisch und wurde »Beraterin in Kinderfragen«, aber aus ihr damals »unverständlichen Gründen« durfte sie nicht fotografieren.



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