Rote Ratten by Qiu Xiaolong

Autor:Qiu Xiaolong [Xiaolong, Qiu]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Inspektor Chen 4
veröffentlicht: 2013-10-13T00:00:00+00:00

16

BAO LAG SCHLAFLOS in seinem Hotelzimmer. Es war erst halb neun. Er hätte nicht so früh zu Bett gehen sollen, aber etwas anderes gab es für ihn nicht zu tun. Shasha und Zhong hatten, dem Beispiel Chens folgend, das Hotel verlassen. Die politische Studiensitzung war ohne Rücksprache mit Bao abgesagt worden. Niemand nahm ihn ernst.

Er wälzte sich auf der Matratze hin und her. Wie konnte sich ein menschlicher Körper auf diesen Sprungfedern wohlfühlen? In Peking schlief er auf einem zongbang, einer geflochtenen Matratze aus gedrehten Kokosfasern – hart, luftig und zuverlässig; kaum daß sein Kopf das Kissen berührte, schlief er auch schon.

Er fragte sich, was für eine Art Bett wohl in Chens Suite stand. Genaugenommen war er der Parteisekretär der Delegation, doch das zählte hier, wo keine Parteiränge genannt wurden, nicht. Immerhin kam er dank des Alphabets gleich nach dem Delegationsleiter, aber abgesehen davon wurde er wie ein normales Mitglied behandelt. Es war eine unakzeptable, gleichwohl nicht von der Hand zu weisende Tatsache, daß er im Schatten dieses wesentlich jüngeren Mannes stand.

Er zog unter dem Kopfkissen einen Band mit seinen Gedichten aus den siebziger Jahren hervor. Er hatte vorgehabt, ihn einem amerikanischen Kollegen zu schenken. Offenbar hatte ihn hier niemand gelesen. Einfach unglaublich. Er stand auf, schaltete den Fernseher ein und begann unwillkürlich zu fluchen. Auf allen Sendern wurde Englisch gesprochen. Er versuchte, mit Hilfe der Kaffeemaschine heißes Wasser zu machen, doch es gelang nicht. Chen hatte ihm gezeigt, wie es ging, aber in seinem Zimmer stand ein anderes Modell, und die Beschreibung war natürlich wieder auf englisch. Noch einmal fragen wollte er nicht. Selbst der Dolmetscher schien ihn für einen alten Trottel zu halten.

Alles hier war verkehrt; nicht einmal die Fenster ließen sich öffnen. Wozu sollte das gut sein? Der exotische Teppich unter seinen nackten Füßen fühlte sich an diesem schwülen Abend schweißig, ja geradezu schleimig an. In nahezu allen Räumen herrschte Rauchverbot. Und das sollte ein freies Land sein? Es war absurd, daß man in einem Hotel, für das man mehr als hundert Dollar pro Nacht bezahlte, solchen Einschränkungen unterworfen war. Er zündete sich eine Zigarette an und stippte die Asche in eine Plastiktasse. Dann ließ er sich in einem Sessel nieder, legte die Füße auf die Fensterbank, und sein Blick folgte den Rauchfetzen, die sich wie die Fragmente seines Lebens zu einem neuen sinnvollen Ganzen formten.

Für Bao hatte die literarische Karriere Anfang der fünfziger Jahre mit der landesweiten Rote-Fahne-Volksmusikkampagne begonnen, die Arbeiter und Bauern als »proletarische Schriftsteller« bekannt machte. Gemäß dem Mao-Wort von der Literatur, die im Dienste der Politik stehen sollte, gebührte den »proletarischen Schriftstellern« die Führungsrolle. Der altgediente Herausgeber der Zeitschrift Shanghaier Literatur kam daher nach Peking in das Stahlwerk Nummer Eins, wo Bao, damals ein junger Lehrling, seinen Ausführungen lauschte. Als der Herausgeber den Zweck seines Besuches erläuterte, war Bao, der beim Zuhören in Sojasoße geschmorte Kürbiskerne knackte, in amüsiertes Lachen ausgebrochen.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie jemals interessieren wird, was ein ungelernter Arbeiter zu sagen hat«, erwiderte er und spuckte sich Spelzen in die Handfläche.

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