Rosengift by Mischke Susanne

Rosengift by Mischke Susanne

Autor:Mischke, Susanne [Mischke, Susanne]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Arena
veröffentlicht: 2017-01-03T00:00:00+00:00


22

Mitten im Lied drückte sie auf die Stopptaste. Blöder Arsch! Damit jagst du mir keine Angst ein, dachte sie trotzig.

Ein leises Plong signalisierte das Eintreffen einer neuen Nachricht.

Matilda wechselte zum Posteingang ihres Mailprogramms.

Die Mail kam von [email protected]:

Verfluchte Schlampe, deine Tage sind gezählt.

Matilda sprang auf, als hätte man ihr eine Natter auf den Schreibtisch geworfen. Die Worte leuchteten in blutroten, ausgefransten Buchstaben auf einem Foto, das ein schmiedeeisernes Grabkreuz zeigte. Am linken Querbalken des Kreuzes hing eine tote Taube. Aber das alles war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass das Foto das Grab ihrer Eltern zeigte.

Matildas Großeltern hatten darauf bestanden, dass ihre Tochter Renate auf dem Ricklinger Friedhof beigesetzt werden sollte. Da Matilda in Zukunft in Hannover leben würde, war das eine gute Lösung. Allerdings wünschte sich Matilda, dass ihre Eltern zusammen bestattet wurden. Matildas Großmutter väterlicherseits hätte ihren Sohn zwar lieber in ihrem Wohnort München beerdigt gewusst, aber Matilda zuliebe hatte sie schließlich schweren Herzens darauf verzichtet. So lagen nun die Särge beider Eltern in dem Hannoverschen Familiengrab. Die Art der Bestattung hatte ebenfalls zu Diskussionen geführt. Helen hatte den Standpunkt vertreten, ihrer Schwester Renate sei eine Verbrennung sicherlich lieber, als von Würmern verdaut zu werden. Letzteres war eine Vorstellung, die auch Matilda nicht gefiel. Doch ihre Oma aus München, die sehr katholisch war, hatte sich über diesen Vorschlag ziemlich aufgeregt. Schließlich hatte man sich auf einen Kompromiss geeinigt: Erdbestattung für beide, Grab in Hannover.

Erhitzt vom schnellen Radeln kam Matilda vor dem Friedhofstor an. Am liebsten wäre sie mit dem Rad weiter bis zur Grabstelle gefahren, aber das hätte vermutlich Ärger gegeben. Also stieg sie ab, schloss das Rad an einen Laternenpfahl und hastete über die gekiesten Wege. Der Tag ging zur Neige, die alten Bäume warfen lange Schatten, allmählich wich die Wärme des Sommertages einer angenehmen Kühle. Eine ältere Frau, die zwei Gießkannen schleppte, kam ihr entgegen und an einem Grab stand ein junges Paar. Sonst war niemand zu sehen.

Das Grab sah aus wie immer. Kein toter Vogel weit und breit. Matilda atmete auf. Vielleicht war der Vogel nur eine Fotomontage gewesen? Im Kunstunterricht hatten sie vor ein paar Wochen eine solche Collage am Computer erstellen müssen und gelernt, wie man mit Bildbearbeitungsprogrammen umging. Aber dennoch musste Patrick hier gewesen sein und das Kreuz fotografiert haben, sie hatte es schließlich genau auf dem Foto erkannt, ebenso wie die Inschrift:

Peter Schliep, 12.3.1967–15.7.2009

Renate Rehberg-Schliep, 3.10.1960–15.7.2009

Matilda fröstelte, als sie an das Foto dachte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass die letzte Ruhestätte ihrer Eltern beschmutzt worden war. Hätte er irgendein anderes gruseliges Arrangement für seine Drohmail fotografiert – okay. Aber das Grab ihrer Eltern! Ein Platz, der ihr heilig war. Sie spürte, wie Wut und Hass in ihr hochkochten. Sie kämpfte dagegen an. Sie würde jetzt nicht die Fassung verlieren, nicht hier und schon gar nicht wegen Patrick!

Ein paar Minuten stand sie einfach nur da und atmete tief durch. Bald würde sich der Todestag ihrer Eltern zum ersten Mal jähren. Wie viel in einem Jahr geschehen konnte! Nicht nur ihr ganzes Leben hatte sich komplett verändert, auch sie hatte sich verändert.



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