Richter_15 by Gulik
Autor:Gulik
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-02-05T05:00:00+00:00
Elftes Kapitel
Als sie auf ihren Füßen zu schwanken begann, sprang der Richter, der ihr am nächsten saß, auf und ergriff ihren Arm. »Sind Sie verletzt?« fragte er scharf.
Die Dichterin blickte mit leeren Augen zu ihm auf.
»Sie … sie ist tot«, stammelte sie. »In der Garderobe. Eine klaffende Wunde … an ihrer Kehle. Ich … ich hab Blut auf meine Hände bekommen …«
»Was zum Teufel sagt sie?« rief der Akademiker. »Hat sie sich in die Hände geschnitten?«
»Nein, es scheint, daß die Tänzerin einen Unfall hatte«, antwortete ihm Richter Di sachlich. »Wir werden sehen, was wir für sie tun können.« Er nickte Lo zu und führte die Dichterin hinaus; sie stützte sich schwer auf seinen Arm. In der Seitenhalle gaben Berater Kao und der Hausverwalter einer Magd gerade Anweisungen. Sie sahen die Dichterin erschreckt an, und die Magd ließ das Tablett, das sie trug, klappernd auf den Boden fallen. Als Bezirksvorsteher Lo herausgestürzt kam, flüsterte ihm der Richter zu: »Die Tänzerin ist ermordet worden.«
Lo fuhr seinen Berater an.
»Lauf zum Haupttor und gib Befehl, niemanden durchzulassen! Sag einem Schreiber, er soll den Leichenbeschauer rufen!« Und zum Hausverwalter: »Kümmere dich darum, daß alle Tore der Residenz sofort verschlossen werden, dann ruf die Vorsteherin!« Er wirbelte herum zu der sprachlosen Magd und bellte: »Bring Fräulein Yu-lan in den Vorraum am Ende des Balkons, mach es ihr in einem Lehnstuhl bequem und bleib bei ihr, bis die Vorsteherin kommt!«
Richter Di hatte der Magd die Serviette aus der Schärpe gezogen, und nun wischte er rasch Yu-lan die Hände ab. Sie hatte keine Wunde. »Wie kommen wir in die Garderobe?« fragte er seinen Kollegen und übergab der Magd die fast ohnmächtige Frau.
»Kommen Sie!« sagte Lo energisch und ging einen schmalen Seitengang entlang der linken Seite des Bankettsaales hinunter. Er stieß die Tür an dessen Ende auf, blieb dann mit einem Keuchen stehen. Nachdem Richter Di einen kurzen Blick auf die dunkle Treppe geworfen hatte, die gegenüber der Tür hinunter führte, folgte er ihm in den schmalen, länglichen Raum, der nach Schweiß und Parfüm roch. Niemand war dort, aber das Licht der hohen Stehlampe aus weißer Seide beschien den halbnackten Körper von ›Kleiner Phönix‹, die auf dem Rücken quer über der Bank aus Ebenholz lag. Sie war nur mit einem durchsichtigen Untergewand bekleidet: ihre weißen muskulösen Beine hingen auf den Boden herab. Ihre dünnen, nackten Arme waren ausgestreckt, ihre gebrochenen Augen starrten zur Decke empor. Die linke Seite ihrer Kehle war ein einziger Klumpen Blut, das sich allmählich über die Schilfmatte auf der Bank ausbreitete. Auf ihren knochigen Schultern zeichneten sich deutlich blutige Fingerabdrücke ab. Ihr dick geschminktes, maskenhaftes Gesicht mit der langen Nase und dem verzerrten Mund, der eine Reihe kleiner, scharfer Zähne sehen ließ, erinnerte den Richter an die Schnauze eines Fuchses.
Bezirksvorsteher Lo legte seine Hand unter eine ihrer kleinen, spitzen Brüste.
»Muß erst vor ein paar Minuten passiert sein!« murmelte er, als er sich aufrichtete. »Und da ist die Mordwaffe!« Er deutete auf eine blutbefleckte Schere auf dem Boden.
Während Lo sich über die Schere beugte, warf Richter
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