Richter 10 by Gulik
Autor:Gulik
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-01-31T05:00:00+00:00
13
In den Gerichtshof zurückgekehrt, begab sich Richter Di geradenwegs in seine Privatwohnung im Hintergrund des Anwesens. Er fühlte sich verschwitzt und erschöpft, nahm rasch ein Bad, zog ein sauberes Sommergewand aus weißer Baumwolle an und setzte sich eine Kappe aus dünner Seide auf. So ausstaffiert, ging er in seine private Amtsstube hinüber. Dort erwartete ihn schon Wachtmeister Hung.
Der Richter holte sich einen Fächer aus langen Kranichfedern von der Wand und nahm, sich heftig Kühlung zufächelnd, an seinem Tisch Platz. Schon der kurze Gang von seiner Wohnung zum Gerichtshof hatte ihn mächtig ins Schwitzen gebracht. Munter fragte er den Wachtmeister: »Nun, was gibt’s Neues?«
»Ich hatte Glück, Herr. Ich traf ein geschwätziges, junges Dienstmädchen aus Kou’s Haushalt in einem Gemüseladen nebenan. Es machte wenig Mühe, aus ihr herauszukriegen, daß Herr Kou tatsächlich heute morgen ausgeritten ist, sehr früh heute morgen.«
»Tut er das öfter?« fragte Richter Di schnell.
»Nie! Das Mädchen erzählte mir, alle Diener seien sich darüber einig, daß Kou ausgegangen sei, um über den Tod von Frau Amber hinwegzukommen. Sie ergänzte, daß Kou und Amber einander trotz des Altersunterschieds sehr zugetan waren und daß Amber Kou immer geholfen habe, seine Erste zu pflegen. Es war eine sehr harmonische, glückliche Familie, wie sie sagte.«
Hung erwartete, daß der Richter etwas sagen würde. Der aber blieb stumm. Doch unvermutet richtete er sich auf und deutete auf zwei kleine, längliche Bambusstücke, die unter den Papieren auf seinem Tisch lagen.
»Wann sind diese Kennzeichen angekommen?« fragte er.
»Der Korporal vom Südtor hat sie vor wenigen Augenblicken gebracht, Euer Ehren.«
Der Richter untersuchte sie neugierig. Sie waren ungefähr gleich groß, und auf jedes war auf der Vorderseite die Zahl 207 gekritzelt. Doch während auf dem einen die Zahl schwerfällig und unbeholfen, wie von einem ungebildeten Mann, geschrieben war, verriet die auf dem anderen die sichere Hand eines geübten Schreibers; auf diesem fand sich auch eine dünne, fast unsichtbare Querrinne, die das Kennzeichen in zwei gleich große Quadrate teilte. Der Richter feuchtete sich den Zeigefinger an und rieb die Zahl weg. Zufrieden steckte er sich das Stück in den Ärmel und sagte lächelnd:
»Dieses Kennzeichen werde ich behalten. Das andere kann zum Südtor zurückgebracht werden. – Nun, jetzt will ich Dir von meinem Besuch bei Sheng Pa’s Freundin, Fräulein Violetta Liang, berichten.«
»Wie ist sie, Herr?« fragte Hung neugierig. »Ist sie wirklich ein so feines und zartes Mädchen?«
»Zart wäre nicht das erste Wort, das mir in den Sinn käme«, antwortete Richter Di gequält. »Sie ist eine Ringkämpferin aus der Mongolei, und zwar eine ziemlich furchterregende.«
Er erzählte dem Wachtmeister das Wesentliche aus seiner Unterhaltung mit ihr und schloß mit den Worten: »Jetzt wissen wir also, daß ein unbarmherziger Irrer in unserer Stadt frei herumläuft, der zuerst Tung und dann Sia benutzte, damit sie ihm Frauen für seine gemeine Begierde verschafften. Denn selbstverständlich ist es ein und derselbe Unhold, der für die drei Morde verantwortlich ist.«
»Das weist darauf hin, denke ich, daß wir Ihren ersten Verdächtigen ausscheiden können – Herrn Kou Yüan-liang. Ich könnte mir vorstellen, daß er aus Eifersucht seine untreue zweite Frau und deren Buhlen tötete.
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