Richard Wagner. Versuch einer Würdigung by Hans Gál
Autor:Hans Gál [Gál, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105604915
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-09-17T16:00:00+00:00
Geld, Schulden, Luxus
Unter den vielen Merkwürdigkeiten des Wagnerschen Charakters steht seine beinahe pathologische Verschwendungssucht obenan. Daß jede Eigenschaft bei ihm im Superlativ erscheint, hängt mit seiner besonderen Konstitution zusammen. Aber sein Verhältnis zum Geld ist so erratisch, daß es einiges Nachdenken verdient. Er muß das selbst gefühlt haben, als er dieses Verhältnis in einem Brief an seinen Dresdener Arzt und Freund Pusinelli zur Sprache brachte, zu einem Zeitpunkt (1870), als er, dank der Großmut König Ludwigs, längst ohne Sorgen hätte leben können. Er spricht darin über die Haupthemmnisse seines Lebens. »Die Besitzlosigkeit war jedenfalls das Allerübelste. Das ererbte Vermögen mag groß oder klein sein, so gibt es dem Menschen, der etwas Ernstes und Echtes will, einzig die nötige Selbständigkeit: mit meinem Wollen, und namentlich in der Sphäre meiner Wirksamkeit, ist die Nötigung, sich das Geld zum Leben zu verdienen, ein vollständiger Fluch. Und das haben Viele und Große schon empfunden, und sind daran untergegangen. Ich bin überzeugt, daß ein auch nur mäßiger Vermögensbesitz mich für das Äußere meines Lebens durchaus stabil gemacht und jede Unruhe von mir ferngehalten hätte. Das vollkommene Gegenteil machte mich jedoch gegen den Wert des Geldes gleichgiltig, gleichsam als hätte ich gewußt, daß ich doch eigentlich nie Geld mir ›verdienen‹ könnte. An den Folgen hiervon habe ich, bei meiner anderweitigen idealen Lebenstendenz, unsäglich zu leiden gehabt.«
Den Mangel an ererbtem Vermögensbesitz haben so ziemlich alle seine berühmten Vorgänger und Zeitgenossen mit Wagner geteilt, von zwei Ausnahmen abgesehen, Mendelssohn und Meyerbeer. Und Wagner hat ihnen das offenbar ebenso übelgenommen wie ihren Ruhm. Ob er je imstande gewesen wäre, bescheiden und anspruchslos zu leben, bleibe dahingestellt. Aber daß der seit seiner Jugend ihm auferlegte Kampf um die Existenz sein Verhältnis zu materiellen Dingen entscheidend beeinflußt hat, kann keinem Zweifel obliegen. Sein Lebenshunger, die Intensität seiner Wünsche und Bedürfnisse haben ihn früh gelehrt, sich zu verschaffen, was er brauchte. Zunächst mußten Brüder, Schwestern, Schwäger, Freunde herhalten. Später war buchstäblich keiner, der in seinen Bereich trat, sicher vor seinen Beutezügen. Mit der ihm eigenen unwiderstehlichen Beredsamkeit hatte er gelernt, Geld aus den Taschen zu fordern, zu bitten, zu schmeicheln, wo immer welches zu finden war, und sein Bedarf stieg in regelmäßiger Progression mit dem Wachsen seiner Geltung, seines Selbstbewußtseins und seiner daraus resultierenden Ansprüche. Verschiedene Charaktere reagieren verschieden. Die Armut ihrer Jugend hat Haydn, Beethoven, Brahms, Verdi für ihr Leben bescheiden und anspruchslos in ihren persönlichen Bedürfnissen gemacht. Bei Wagner hat sie das Umgekehrte bewirkt, hat sein Bedürfnis nach den guten Dingen des Daseins maßlos gereizt und gesteigert, wie überhaupt bei seiner Art des Reagierens jeder Druck einen leidenschaftlichen Gegendruck erzeugt. Die Entbehrungen der Pariser Notjahre haben ihn fürs Leben zum Epikureer gemacht; unter der ständigen materiellen Bedrohtheit und Unsicherheit der Jahre seines Exils und unsteten Wanderns ist sein Luxusbedürfnis ins Sybaritische gewachsen; nun, da er sich endlich sichergestellt und ohne unmittelbare Sorgen weiß, hat das Gefühl der Abhängigkeit von der Laune eines Königs bewirkt, daß ihm überhaupt nur mehr eine fürstliche Souveränität mit seiner Würde vereinbar schien – und eine fürstliche Lebenshaltung.
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