Rentiere by Pia Hepke

Rentiere by Pia Hepke

Autor:Pia Hepke [Hepke, Pia]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: tolino
veröffentlicht: 2015-10-15T16:00:00+00:00


Zwei Welten

Als ich die Augen wieder öffnete, fühlte ich mich nicht unbedingt erholter. Sobald ich mich regte, meldete mein Körper von den unterschiedlichsten Stellen aus Schmerz. Doch das zeigte mir wenigstens, dass ich noch am Leben war. Nan hatte es also nicht ausgenutzt und mich im Schlaf angegriffen.

Sie hatte zwar gesagt, dass sie keinen Hunger auf etwas habe, was sich zuvor mit ihr unterhalten hatte, aber ganz sicher konnte ich da dennoch nicht sein. Deswegen war ich froh, dass ich mich auf mein Gefühl verlassen konnte, denn das hatte richtig gelegen.

„Nan?“ Ich hatte sie einfach so genannt, weil sie mir ihren Namen ja nicht hatte verraten wollen, ich sie aber irgendwie ansprechen musste. Fraglich war nur, ob sie auf den Namen hören würde.

Ich hob den Kopf und schaute mich um. Der Himmel war von strahlend blauer Farbe. Die Sonne ließ den Schnee um mich herum glitzern und funkeln. Während ich noch den Kopf drehte und Ausschau nach der weißen Nandolf hielt, rutschten Schichten von Schnee hinab. Es musste noch eine ganze Weile weiter geschneit haben.

Mein Blick glitt über die ebenmäßige Landschaft. Man konnte weit schauen, jetzt, wo die Luft klar war. Ich war tatsächlich mitten im Nirgendwo gelandet. Weit und breit war nichts außer Schnee zu sehen. Dort hinten, das Graue könnte eventuell ein Wald sein. Ich kniff die Augen zusammen, aber ich würde näher herangehen müssen, um es wirklich erkennen zu können.

Mühsam erhob ich mich aus meiner Schneedecke und sobald ich stand, schüttelte ich mich kräftig. Nan schien nicht hiergeblieben zu sein. Wahrscheinlich hatte sie doch noch das Weite gesucht. Eigentlich schade, ich hätte mich über ihre Gesellschaft sehr gefreut, aber es wäre schon merkwürdig gewesen, mit einem Nandolf durchs Land zu ziehen. Andererseits hätten wir mit Sicherheit eine Menge von dem jeweils anderen lernen können.

Ich schnaubte laut und wollte mich gerade auf den Weg machen, als sich etwas aus dem Schnee wühlte. Erschrocken sprang ich zurück. Ich stand kurz davor die Flucht zu ergreifen, als sich zwei spitze Ohren aufrichteten und kurz darauf eine schwarze Nase erschien.

„Was veranstaltest du denn hier?“, drang die miesepetrige Stimme meiner neuen Freundin durch den Schnee. Kurz darauf tauchte der ganze Kopf auf. Ihre Augen leuchteten und blitzten mich böse an.

Sie war also doch nicht verschwunden, nur eingeschneit. Erstaunt stellte ich fest, dass ich ehrlich erleichtert war, dass sie nur geschlafen und ich sie übersehen hatte. Wahrscheinlich sollte ich mich in nächster Zeit einmal fragen, ob der Sturz und die Kopfschmerzen nicht etwas Entscheidendes geschädigt hatten. Schließlich war das da vor mir immer noch ein Nandolf. Aber ich konnte einfach nicht anders, als sie erfreut anzuschnauben.

„Du bist noch da“, stellte ich überflüssigerweise fest.

„Und du kannst noch immer sprechen.“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und erhob sich vollends aus dem Schnee.

„Sag bloß, du hattest gehofft, dass ich heute wieder stumm bin und du mich fressen kannst.“ Mit großen Augen blickte ich auf sie hinab.

„Geträumt vielleicht, mehr aber auch nicht.“ Sie streckte sich und gähnte dann so ausgiebig, dass ich einen freien und langen Blick auf ihr ausgesprochen gut bestücktes Gebiss werfen konnte.



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