Psychopathen by Dutton Kevin
Autor:Dutton, Kevin [Dutton, Kevin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2013-05-05T17:00:00+00:00
Generation Ich
Bei Bier und Popcorn im Harvard Faculty Club erkläre ich Steven Pinker, dass wir vor einer Art Rätsel stehen. Denn einerseits gibt es Beweise dafür, dass die Gewalt in der Gesellschaft abnimmt, andererseits dafür, dass die Gesellschaft psychopathischer wird.
»Okay. Nehmen wir an, die Gesellschaft wird tatsächlich psychopathischer«, entgegnet er. »Das heißt nicht unbedingt, dass es auch eine Zunahme der Gewalt geben wird. Die Mehrzahl der Psychopathen ist, soweit ich sehe, nicht gewalttätig. Sie fügen anderen vor allem emotionalen und keinen physischen Schmerz zu ...
Sollte die Psychopathie wirklich irgendwann Fuß fassen, könnte es natürlich sein, dass wir, verglichen mit dem Ausmaß der Gewalt vor vierzig oder fünfzig Jahren einen minimalen Anstieg erleben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass wir einen Unterschied im Gewaltmuster entdecken werden. Es wird vielleicht beliebiger. Oder instrumenteller.
Ich glaube, dass die Gesellschaft in höchstem Maße psychopathisch werden müsste, um wieder so gewalttätig zu werden, wie wir es z. B. im Mittelalter waren. Und aus einer rein praktischen Perspektive betrachtet, ist dieser Grad an Psychopathie einfach nicht erreichbar.
Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn sich herausstellte, dass es in den vergangenen Jahrzehnten zu subtilen Schwankungen im Persönlichkeitsstil oder im interpersonellen Stil gekommen ist. Doch wir haben die Sitten und die Etikette der modernen Zivilisation viel zu stark verinnerlicht, als dass sie durch einen Ausschlag oder, was wahrscheinlicher ist, durch einen Stups zur dunklen Seite unterminiert werden könnte.«
Pinker hat recht, wenn er sagt, dass Psychopathie langfristig nicht zukunftsfähig ist. Wie wir im vorangehenden Kapitel mithilfe der Spieltheorie gesehen haben, ist sie ein biologischer Blindgänger. Pinker hat auch recht damit, dass es subtile Veränderungen hinsichtlich der Motivation zu gewalttätigem Handeln gegeben haben könnte. In einer vor Kurzem vom Center for Crime and Justice am King’s College in London durchgeführten Studie wurden 120 verurteilte Straßenräuber gefragt, warum sie ihre Straftaten begangen hatten.107 Ihre Antworten sagten eine Menge über das moderne britische Straßenleben aus. Nervenkitzel. Spontaner Impuls. Status. Und finanzieller Gewinn – in ebendieser Reihenfolge. Genau das sorglose, gefühllose Verhalten, das man oft bei Psychopathen antrifft.
Erleben wir also die Entstehung einer sub-psychopathischen Minderheit, für die die Gesellschaft nicht existiert? Einer neuen Spezies von Individuen, für die es weitgehend keine sozialen Normen gibt, die keinen Respekt vor den Gefühlen anderer haben und gleichgültig gegenüber den Folgen ihres Handelns sind? Hat Pinker vielleicht recht mit den subtilen Schwankungen in der modernen Persönlichkeitsstruktur – und mit dem Stups zur dunklen Seite? Den Ergebnissen einer neueren, von Sara Konrath und ihrem Team am Institute for Social Research der University of Michigan durchgeführten Studie zufolge lautet die Antwort auf diese Fragen Ja.108
Bei einer Umfrage mit bislang 14 000 Probanden hat Konrath festgestellt, dass das Empathie-Level von Collegestudenten, so wie es von ihnen selbst eingeschätzt wird (gemessen mithilfe des Interpersonal Reactivity Index[31]109), während der vergangenen drei Jahrzehnte tatsächlich ständig abgenommen hat – seit der Einführung der Skala im Jahr 1979. Und dass in den vergangenen zehn Jahren ein besonders deutliches Absinken zu beobachten war.
»Heute haben die Collegestudenten rund 40 Prozent weniger Empathie als vor dreißig oder vierzig Jahren«, berichtet Konrath.
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