Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition) by Ortner Christian
Autor:Ortner, Christian [Ortner, Christian]
Die sprache: eng
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 2014-01-20T17:00:00+00:00
VI. Demokratie kann Unfreiheit bringen – oder: Die Freiheit, jedermanns Sklave sein zu dürfen.
Für die meisten Bewohner westlicher Wohlfahrtsstaaten gehören Demokratie und Freiheit so eng und unauflöslich zusammen wie Strand und Sonne. Demokratien bringen nach allgemeiner Ansicht Freiheit, und Freiheit schafft automatisch Demokratie.
Wir haben es hier mit einem der populärsten Irrtümer zu tun, den die Ideengeschichte hervorgebracht hat. Denn demokratische Mehrheitsentscheide taugen zur Beschneidung von Freiheit genauso gut wie zum Erzeugen von Freiheit. Das ist eine gut verdrängte Nebenwirkung des demokratischen Prozesses.
Fragen wir zum Beispiel einen schwulen Mann, der in den 1960er oder 1970er Jahren in den durch und durch demokratischen Staaten Deutschland und Österreich gelebt hat, ob er die dort ganz demokratisch zustande gekommenen Gesetze gegen Homosexualität, Knast für Schwule inbegriffen, wirklich für einen persönlichen Zugewinn an Freiheit gehalten hat.
Fragen wir zum Beispiel einen heute in der superdemokratischen Schweiz lebenden Moslem, ob er das über ein demokratisches Mehrheitsvotum herbeigeführte »Minarettverbot« tatsächlich als Bereicherung seiner (religiösen) Freiheit empfindet. Auch dass Frauen in manchen Kantonen der Schweiz bis in die 1970er Jahre hinein nicht wahlberechtigt waren, natürlich streng demokratisch legitimiert, wird man nicht unbedingt als Ausdruck besonderer Freiheitsliebe des demokratischen Souveräns verstehen können.
Fragen wir zum Beispiel einen leidlich gut verdienenden österreichischen Steuerzahler, ob er die demokratisch zustande gekommenen Gesamtabgabenlast von bis zu 70 Prozent (inklusive den unsichtbaren Einkommensteuern, der Mehrwertsteuer und anderen Abgaben) als besonderen Ausdruck seiner persönlichen Freiheit versteht, über den von ihm erwirtschafteten Wohlstand auch selbst entscheiden zu können, oder ob da nicht in Wahrheit eine Mehrheit durch einen demokratischen Prozess die Ausplünderung einer Minderheit betreibt.
Fragen wir zum Beispiel einen Bewohner des Gazastreifens, der wegen seiner politischen oder religiösen Absichten von der regierenden, terroristischen Hamas gefoltert wird, ob er die demokratisch gewählte Hamas-Regierung wirklich als Garanten seiner persönlichen Freiheit versteht.
Die Antwort wird wohl immer die gleiche sein. Was demokratisch beschlossen wurde, muss nicht immer der Freiheit dienen. Demokratie kann für den Einzelnen durchaus zu Unfreiheit führen.
»Demokratie heißt Herrschaft des Demos, also Volksherrschaft, und die ist, nimmt man den Begriff in seiner prägnanten Bedeutung, nicht unbedingt erfreulich,« meint der Wiener Philosoph Rudolf Burger, … denn reine Demokratie hat ihren Fluchtpunkt nicht in der Freiheit, in deren Namen sie propagiert wird, sondern in Diktatur und Terror. Die gesamte klassische Staatstheorie hat das gewusst, von Platon über Kant bis Hegel, nur die heutige Politik-Rhetorik hat es vergessen gemacht. Deshalb redet man von Populismus, will man die negativen Züge der Demokratie hervorheben. Doch der Begriff Populismus ist bloß die latinisierte Form von Demokratismus. Und der Populist ist die moderne Gestalt des Demagogen, der sein Vorbild hat an Perikles, dem größten aller Demagogen. Wenn legitime Herrschaft tatsächlich ›vom Volk‹ ausgeht, und nur von ihm ohne nähere Qualifikationen, dann gibt es kein wie immer geartetes Kriterium, diese Herrschaft zu begrenzen – jedes Gesetz, jede Verfassung, jeder ›Gesellschaftsvertrag‹, das heißt, jede Selbstbindung des Volkes, steht grundsätzlich immer zu seiner Disposition. Die Souveränität des Volkes kennt kein Jenseits, dessen normativer Kraft es unterworfen wäre, und jede eigene Entscheidung kann es revidieren; deshalb auch die Fragwürdigkeit von ›Grundwertekatalogen‹,
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