Projekt Babylon by Andreas Wilhelm

Projekt Babylon by Andreas Wilhelm

Autor:Andreas Wilhelm
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: blanvalet
veröffentlicht: 2011-01-20T23:00:00+00:00


9. Mai, ein Gewölbe bei Albi

Lediglich ein halbes Dutzend mannshoher Kerzenständer erleuchteten den steinernen Saal. Fast hätte man es für einen romantischen Weinkeller halten können, wenn nicht die düsteren Möbel und die drohenden Wandmalereien eine andere Sprache gesprochen hätten. Auch der Boden war verziert. Mehrere konzentrische Kreise umschlossen ein übergroßes Pentagramm. Verschiedene magische Symbole waren um den Drudenfuß gruppiert, neben Beschriftungen in einer unleserlichen, archaisch anmutenden Schrift. Das Pentagramm schien auf dem Kopf zu stehen; es war so ausgerichtet, dass es mit einer Spitze zum unteren Ende des Saals wies, zum Eingang, während seine beiden Füße wie zwei Hörner in die Richtung der Erhöhung deuteten, auf der eine Art Thron den Raum überragte.

Der Thron war aus dunklem Holz gefertigt und mit aufwendigen Schnitzereien übersät. Der unbekannte Künstler hatte in sehr naturalistischer Weise die einzelnen Teile des Holzes in organisch anmutende Formen und animalische Gliedmaßen verwandelt. Die Stuhlbeine waren sehr dick, muskulös und behaart. Wie die Beine eines Raubtiers, eines Bären etwa, wirkten sie kraftvoll und bedrohlich. Sie endeten in Hufen, denen einer übergroßen Ziege nicht unähnlich. Auch die Armlehnen waren meisterhaft ausgearbeitet. Mit eindrucksvollen, geschnitzten Muskeln versehen, reckten sie sich nach vorn und endeten in krallenbewehrten Klauen. Am imposantesten jedoch war die hohe Rückenlehne. Sie erhob sich fast einen Meter über jeden, der auf der Sitzfläche Platz nahm. Der Künstler hatte ihr den Anschein einer nackten, bis in die kleinste Einzelheit detailgetreuen durchtrainierten Männerbrust gegeben. Durch das dunkle Holz und die scheinbar hervortretenden Adern auf den glänzenden Muskeln strahlte das Schnitzwerk eine unheimliche, unmenschliche Kraft aus, eine bedrohliche Anspannung. Erhöht wurde dieser Eindruck durch breite Schultern und einen kräftigen Hals. Die obere Hälfte der Lehne bildete einen gewaltigen Schädel, eine verzerrte Tiergestalt mit Schnauze und gebleckten Reißzähnen, die unheilvoll in den Saal starrte, gekrönt von einem Paar nach oben geschwungener Hörner.

Auf dem Schoß des monströsen Mischwesens, das der Thron darstellte, saß ein junger Mann in dunklem Anzug. Er hatte die Beine übereinander geschlagen, die Arme ruhten entspannt auf den Lehnen, sein Rücken war angelehnt. Sein Gesicht lag im Schatten unter dem nach vorn ragenden Kopf der Bestie.

Er betrachtete eine Weile die beiden Männer, die in der Mitte des großen Pentagramms standen und zu ihm aufsahen. Er schwieg, nahm ihre absolute Ergebenheit in sich auf. Sie würden nicht wagen, sich zu rühren oder einen Ton zu sagen, bevor er sie nicht ansprach. Sie waren vollkommene Diener Belials, hatten ihre Seelen schon vor Jahren dem Tier verpfändet. Sie hatten sich ihm unterworfen und waren dafür reich und mächtig geworden, zumindest für ihre bescheidenen Verhältnisse. Aber ihre Seele würden sie niemals zurückbekommen.

Er kannte sie beide. Ihre Berufe, ihre Familien, alles, was ihre weltlichen Existenzen ausmachte. Er beobachtete ihren ständigen Werdegang, kannte ihre Stärken, Schwächen und ihre Ängste. Er kannte sie; wie seine Kinder kannte er sie alle, aber er nannte sie nie bei ihren Namen. Weder bei ihren wahren noch bei irgendwelchen anderen Namen. Es war Teil ihrer Nichtigkeit vor Belial.

Nun wies er auf den linken der beiden Männer.

»Was kannst du berichten?«

»Professor Peter Lavell hat am Völkerkundemuseum in Hamburg keine Adresse hinterlassen.



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