Postkoloniale Germanistik und Konflikte im globalen Kontext by Axel Dunker Michael Hofmann Serge Yowa
Autor:Axel Dunker, Michael Hofmann, Serge Yowa
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2023-11-14T07:19:45.436000+00:00
2.2âSklavenhandel, Nativismus und Rückkehr
Die Intensivierung der Plantagen- und Sklavenwirtschaft in Amerika und in der Karibik führte in der schwarzen Diaspora zu einer rückwirkenden imaginativen Gestaltung von Afrika als Ursprungsland und als Ausgangs- und Mittelpunkt ihrer eigenen Weltimagination (vgl. Césaire 1955; Césaire 1947; Césaire 1967; Hall 1994, 26âââ42; Elkins 1972, 63âââ77). Politische und kulturelle Bewegungen von schwarzen Afrikanern, die im Kontext des Sklavenhandels und der Versklavung entstanden, verstanden die Befreiung von der Sklaverei zunächst als Rückkehr nach Afrika, das als Hort des Schwarz-Seins und schwarzer Kulturen gedeutet wurde. Die Rückkehr nach Afrika stand im Mittelpunkt der Emanzipationsbewegungen von Schwarzen seit der Frühphase des atlantischen Sklavenhandels. Rückkehrende befreite Sklaven aus Lateinamerika, besonders aus Brasilien, besiedelten die ganze westafrikanische Küste von Angola bis Senegal und trugen nicht nur zur kulturellen Erneuerung dieser Region bei, sondern sie selber etablierte sich als Mitglieder der lokalen Oberschicht und als Sklavenhändler und profilierten sich als wichtige Akteure in der atlantischen Sklavenwirtschaft.
Ein erneuter kultureller Hybridisierungsprozess fand damit an der westafrikanischen Küste statt, die noch heute in der Namensgebung in Ländern wie Angola, Nigeria, Ghana, Benin, Togo und Senegal spürbar ist (vgl. Amos 2001, 293âââ314; Seibert 2012). Eine andere Welle dieser Rückkehrbewegung ging von Nordamerika aus. Die von den USA und England organisierte Rückkehr von befreiten Sklaven nach Westafrika führte zur Gründung bzw. Neugestaltung von Territorien wie Sierra Leone (vgl. African Institution 1812, 86âââ91; Scanla 2016, 1085âââ1113) und Liberia (vgl. Van Silke 2011, 107âââ134; Akpan 1973, 217âââ236; Everill 2013), in denen die befreiten Sklaven aus Amerika angesiedelt wurden und dort in einem langen Prozess des friedlichen und kriegerischen, kulturellen und politischen Austausches mit der indigenen afrikanischen Bevölkerung standen. Die kolonialen und fast hegemonialen Bestrebungen der befreiten Sklaven aus Amerika führten zu einer tiefen Spaltung in den betroffenen Territorien, deren Folgen in der gegenwärtigen afrikanischen Geschichte noch spürbar sind (vgl. Bowen Jones, 1997; Christensen 2008; Engwicht 2016; Murphy 2003). Am Beispiel des langjährigen Konflikts zwischen indigenen afrikanischen Stämmen und Nachkommen von ehemaligen Sklaven, der von Anfang der 1990er Jahre bis Mitte der 2000er Jahre in Liberia und Sierra Leone tausende Tote als Folge hatte, kann deutlich veranschaulicht werden, wie tiefgreifend diese rückwirkenden Folgen des Sklavenhandels in der Vergangenheit waren und in der Gegenwart immer noch sind.
Die Afrikaimagination wurde in Amerika und in der Karibik von künstlerischen und intellektuellen Produktionen genährt, die das Ideal einer imaginativen, spirituellen oder wirklichen Rückkehr nach Afrika als existentiellem und kulturellem Horizont darstellte. Publikationen von W.E.B. Du Bois (vgl. Du Bois 1963; Du Bois 1923; Contee 1972; Provenzo und Abaka 2012), Markus Garvey (vgl. Rogers 1955; Kroubo Dagnini 2008; Lawler und Davenport 2009), René Maran (vgl. Kesteloot 2012, 43âââ53; Dewitte 2005), Leon Gontran Damas (vgl. Warner 1998) und vielen anderen sahen aus unterschiedlichen Perspektiven in der Rückkehr nach Afrika bzw. in der Konstitution und Förderung eines panafrikanischen kulturellen Horizontes die notwendige Grundlage einer Bindung der schwarzen Diaspora zur afrikanischen Weltvorstellung. Dass Markus Garvey beispielsweise in der Reggea-Musik und in der Rastafari-Philosophie und -Religion gefeiert wird, ist eng mit diesen Afrika-Projektionen verbunden (vgl. Tafari 1980; Onyebadi 2017; Davis 2021; Sonderegger 2010).
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