Postdemokratie by Colin Crouch

Postdemokratie by Colin Crouch

Autor:Colin Crouch
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-03-07T05:00:00+00:00


Die Widersprüche reformistischer Positionen

Die Haltung reformistischer Fraktionen, die in den neunziger Jahren in vielen europäischen Mitte-Links-Parteien an Einfluß gewannen - New Labour in England oder die Riformisti in Italien, man denke auch an Schlagworte wie den »Dritten Weg« oder die »Neue Mitte« -, läßt sich aus der hier entwickelten Perspektive mühelos nachvollziehen. Die ursprüngliche soziale Basis dieser Parteien wurde nun ausschließlich mit defensiven Positionen, mit Niedergang und Niederlagen assoziiert - eine schlechte Ausgangslage, um Anschluß an zukunftsträchtige Trends, unter den Wählern oder im Hinblick auf relevante Themen, zu finden. Die Organisationen, die eigentlich gewährleisten sollten, daß die Politiker mit den Menschen und ihren Sorgen in Kontakt blieben (die Parteien selbst sowie die oft eng mit ihnen verbundenen Gewerkschaften), waren für erfolgreiche Gruppen in der Bevölkerung und der Arbeitswelt zunehmend nicht mehr wirklich attraktiv, sie sandten Signale aus, mit denen die Mehrheit der Menschen in der postindustriellen Gesellschaft nicht wirklich etwas anfangen konnte.

Einen ganz besonderen Platz nimmt in dieser Geschichte New Labour ein. Ich habe bereits daran erinnert, daß die britische Arbeiterklasse - in der Vergangenheit die soziale Basis einer der mächtigsten Arbeiterbewegungen weltweit - während der frühen achtziger Jahre besonders traumatische Niederlagen erlitt. In einem letzten verzweifelten Aufbäumen ruderten die Partei und die Gewerkschaften gerade in dem Moment nach links, als die frühere Basis für eine solche Politik zusammenbrach. Aus dieser Erfahrung heraus kam eine neue Parteiführung an die Macht, die entschlossen war, mit der jüngsten Vergangenheit zu brechen. Programmatisch verlor die Partei mit dieser Strategie jedoch jeden Anknüpfungspunkt an bestimmte soziale Interessen - mit einer einzigen, allerdings wichtigen Ausnahme: Sie widmete frauenspezifischen Problemen nun wesentlich mehr Aufmerksamkeit, als es konservative oder Politiker aus den eigenen Reihen in der Vergangenheit getan hatten; vor dem Hintergrund der Überlegungen des letzten Abschnitts war dies durchaus naheliegend. Davon abgesehen, läßt sich der Übergang von Labour zu New Labour als der Übergang von einer Partei, die auf demokratische Politik ausgerichtet war, zu einer postdemokratischen Partei verstehen. Und dieser Wandel ereignete sich während der alptraumhaften achtziger Jahre, als sich zeigte, daß das demokratische Modell nicht mehr praktikabel war.

Dies gab der Parteiführung die Freiheit, ihre traditionelle Basis schrittweise hinter sich zu lassen und eine Partei für jedermann zu werden. Und sie hatte damit sehr großen Erfolg. Abgesehen von der schwedischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) hatte die britische Labour Party unter allen gemäßigt linken Parteien Europas die größten Wahlerfolge zu verzeichnen. (Man sollte hier jedoch auch anmerken, daß dieser Erfolg in weiten Teilen ein Produkt des britischen Wahlsystems war, das es zum einen erschwert, Widerspruch gegen die Parteiführung zu artikulieren, und das zum anderen dazu führt, daß eine Partei, die die relative Mehrheit an den Wahlurnen erreicht, im Parlament stark überrepräsentiert ist.)

Doch wenn eine Partei nicht länger über eine abgrenzbare soziale Basis verfügt, bewegt sie sich in einem Vakuum. Auch die politische Natur kennt den horror vacui, und bald machten sich die ökonomischen Interessengruppen, die ihr Selbstbewußtsein zurückgewonnen hatten und nun für die shareholder value-Ideologie und das Modell des flexiblen aggressiven Unternehmens eintraten, daran, dieses Vakuum zu füllen. Dies erklärt die paradoxe Position, in der sich New Labour als

Regierungspartei befand.



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