PopCo by Thomas Scarlett

PopCo by Thomas Scarlett

Autor:Thomas, Scarlett [Thomas, Scarlett]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: Rowohlt
veröffentlicht: 2012-08-18T14:12:04+00:00


KAPITEL ZWANZIG

Es ist Samstagmorgen. In einer halben Stunde wollen wir zu unserem komischen Naturtrip aufbrechen. Ich habe Halsweh und werfe Aconitum ein, als gäbe es kein Morgen – was in homöopathischen Kategorien letztlich nur bedeutet, dass ich tatsächlich die doppelte Dosis nehme. Ich hasse Erkältungen. Ich würde so ziemlich alles tun, um sie abzuwenden, und nehme fast stündlich hohe Dosen Vitamin C, Echinacea und teelöffelweise Honig ein, wenn ich das Gefühl habe, eine Erkältung zu bekommen. Dafür gibt es Gründe. Als Kind habe ich mit meinem Vater in einer feuchten Sozialwohnung gewohnt, und seither bin ich anfällig für Atemwegserkrankungen. Außerdem sind meine Großeltern letztlich beide an Erkältungen gestorben – besser gesagt an den Folgen einer mehr oder minder schweren Grippe. Wenn ich erkältet bin, fühlt es sich an, als würde man mir mit einer scharfen Sichel den Brustkorb spalten, und hinterher röchele und keuche ich wochenlang wie eine alte Frau. Ich habe mit mir selbst vereinbart, beim nächsten Atemwegskatarrh mit dem Rauchen aufzuhören, sehe diesem Tag aber alles andere als freudig entgegen.

Aconitum ist der lateinische Name für Eisenhutgewächse, die natürlich hochgiftig sind. Aconitin ist sogar eins der gängigsten Gifte der Menschheitsgeschichte. Anders als das wildwachsende Aconitum anglicum sieht man den Blauen Eisenhut Aconitum napellus (der in der Homöopathie eingesetzt wird) auch oft in Gärten. Er kam ursprünglich in Mode, um jedem sein eigenes kleines Giftdepot zu ermöglichen. Herbarien aus dem 16. Jahrhundert warnen bereits davor, dass dieser hübschen, scheuen blauen Blume nicht zu trauen ist. Wer vom Eisenhut isst, stirbt. Die Vergiftungserscheinungen treten sehr plötzlich auf und versetzen das Opfer in Panik und Furcht vor dem nahenden Tod. Wenn eine Krankheit also plötzlich einsetzt und man das Gefühl hat, sterben zu müssen (oder sogar zu wissen glaubt, wann genau man sterben wird), ist homöopathisches Aconitum möglicherweise das geeignete Mittel dagegen. Das ist das Geheimnis der Homöopathie: Similia similibus curantur. Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt. Und da das Plötzliche zu den wesentlichen Eigenschaften von Aconitum gehört, raten viele Homöopathen dazu, es bei den ersten Anzeichen einer Erkältung einzunehmen, wenn man gerade noch ganz entspannt und guter Dinge war und sich plötzlich von einer Sekunde auf die andere fühlt, als hätte man Rasierklingen verschluckt und anstelle eines Kopfes einen prallgefüllten Luftballon auf den Schultern. Ich habe eine recht hohe Potenz Aconitum bei mir, C1000, und rechne mir gute Chancen aus, die Sache noch abwenden zu können.

Was braucht man für einen Tag im Moor? Kurz schießen mir Bilder von Marmeladengläsern mit Drahthenkeln, Lupen und in Pergamentpapier gewickelten belegten Broten durch den Kopf. Aber nein, ich bin ja erwachsen. Ich werde meine Notfallausrüstung mitnehmen, eine Flasche Mineralwasser und vielleicht noch ein Lunchpaket aus der Küche, je nachdem, ob die anderen das auch machen. Offiziell sollen wir nur einen Kompass und ein Notizbuch mitbringen. Der Kompass ist Teil meiner Notfallausrüstung, und mein Notizbuch habe ich sowieso immer dabei. Ob ich damit erwachsen genug ausgestattet bin? Sicher bin ich mir da nicht.

Der Gedanke an die Notfallausrüstung durchzuckt mich wie ein Stromschlag aus dem Alltag und ruft mir die Welt jenseits von PopCo Towers wieder in Erinnerung.



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