Plasmawelt by Michael Marcus Thurner

Autor:Michael Marcus Thurner [Thurner, Michael Marcus]
Die sprache: deu
Format: epub

15 – Rachegelüste

Mehrere Hundert Räder bewegen Kamandar vorwärts. Niemand ist in der Lage, die genaue Zahl zu benennen. Manche von ihnen sind im Fahrwerk verankert, um nur bei besonders heiklen Bodenbedingungen zum Einsatz zu kommen.

Das Rad, dem ich nun seit einem halben Jahr folge, ist vierzig Meter hoch. Es besteht aus Verbund-Schichtstahl, Kreuzspeichen, gehärteten Stützverstrebungen, mehreren separat zu steuernden Antriebsmotoren und verschiedenen Spike-Sätzen. Lenkeinheiten und Reinigungs-Gortys sorgen dafür, dass es rund um die Uhr einsatzbereit bleibt.

Seit es meine Männer und meine Kinder überrollt hat, seitdem mich ein grausames Schicksal überleben ließ, folge ich dem Rad, stets im Schatten des Allesfressers.

Ich recke meinen Drillkopf weit nach vorne. Er bewahrt mich vor Schäden, die durch Spritzschlag entstehen könnten. Wenn ich spüre, dass der Untergrund einbruchsgefährdet ist, wenn ich im Kielwasser des Allesfressers in Gefahr gerate, dann vergrößere ich den Abstand oder bringe mich im Kern eines ausreichend stabilen Felsbrockens in Sicherheit. Wenn sich die Situation beruhigt, nähere ich mich dem Feind wieder an.

Schon dreimal habe ich eine volle Umdrehung des Rades mitgemacht, in den Rillen versteckt, vom Schwung getragen, bei einer Geschwindigkeit von über dreißig Stundenkilometern. Jeweils für wenige Sekunden glitt ich ins Innere der Radkastens. Zwei Wesen, klein und gedrungen, die bloß über zwei Beine und zwei Arme verfügen, tun dort ihre Arbeit. Sie haben mich nicht bemerkt. Sie sind auf die Antriebssteuerung fixiert. Ein Roboter ist ständig damit beschäftigt, den Raum von hochspritzendem Unrat zu reinigen. Er ist mit unzähligen Körperstacheln versehen, die ihn gefährlich wirken lassen.

Ich begreife die Steuersysteme. Ich verstehe etwas von derlei Dingen, und insgeheim bewundere ich die unprätentiöse, auf den Endzweck ausgerichtete Funktionalität ihrer Mechanismen. Alles im Radkasten ist einfach, aber robust ausgeführt.

Ich ahne, wie man die Steuersysteme außer Kraft setzen kann, und heute ist der Tag, an dem ich mein Wissen anwenden kann.

Ich denke an jenen Tag zurück, da der Allesfresser unser Jahreslager überrollte. Wir hatten uns sicher gefühlt, in einer Tiefe von mehr als fünfzig Metern. In einer sorgfältig ausgewählten und ausgekundschafteten Kaverne, die wir durch Fixierspeichel sorgfältig stabilisiert hatten. Nichts und niemand, so dachten wir, könnte uns in unserer ureigensten Domäne gefährlich werden. Wir hatten uns geirrt.

Kamandar erwischte uns während der Tiefschlafphase des dritten Ruhemonats. In jenem Zeitraum, da unsere Metabolismen durch Nahrungs- und Vitaminmangel besonders geschwächt und abgestumpft waren. Die wenigen Hüter, die im Halbschlaf über uns wachten, reagierten zu langsam, zu unentschlossen, zu spät. Sie missachteten die Warnsignale: das Grollen, das Beben, die Risse in den gehärteten Schlafwaben. Als sie uns weckten und uns auf die drohende Gefahr aufmerksam machten, war es längst zu spät.

Ich gebe den Hütern keine Schuld. Auch wenn sie richtig und rasch reagiert hätten, wäre es uns niemals gelungen, rechtzeitig aus der Kaverne zu entkommen. Das Gewicht des Allesfressers ist zu groß. Wir hätten uns fünfmal so tief graben müssen, um eine Überlebenschance zu haben.

Wie durch ein Wunder überlebte ich, eingeklemmt zwischen rasch aushärtenden Brückenbögen, die ich trotz meiner Schlaftrunkenheit rings um mich geschaffen hatte.

Getrennt von meinen Verwandten drillte ich mich an die Oberfläche hoch, sobald das Grollen Kamandars nachließ.

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