Pinguinwetter by Britta Sabbag
Autor:Britta Sabbag
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Verlagsgruppe Luebbe GmbH Co KG
veröffentlicht: 2011-10-19T22:00:00+00:00
*
»Frau Sander?«
Eine barfüßige Mittfünfzigerin in einem sicher hundertprozentig organischen Kaftan im modischen Farbton Erbrochenes begrüßte mich flüsternd.
Sie trug ihre silbergrauen Haare in zwei wild aufgetürmten Büscheln rechts und links über ihren Ohren – ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie eine solche Frisur gesehen. Da ich ihr – ihrer Aufmachung nach zu urteilen – die Nutzung von Haarspray nicht zutraute, nahm ich an, dass sich die Frau seit mindestens drei Monaten nicht mehr gekämmt hatte, derart nestartig wirkte das Ganze. Jeder einheimische Singvogel hätte darin seine helle Freude gehabt.
Aus ihrem Kinn ragte ein sicher drei Zentimeter langes dunkelgraues Haar heraus, auf das ich mich seit dem Augenblick des Entdeckens konzentrieren musste. Ich begann automatisch, mir an meinem eigenen Kinn herumzufummeln, und einen Sekundenbruchteil lang überlegte ich sogar zu sagen: »Sie haben da was«, verwarf den Gedanken dann aber schnell wieder. Es wäre kein allzu guter Einstieg in ein Bewerbungsgespräch gewesen.
»Ja, genau«, antwortete ich lächelnd, »ich habe einen Termin um halb zehn.«
Neben der Vogelnestkinnhaarfrau kam ich mir in meinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug so overdressed vor wie zuletzt bei einem von Finns sagenumwobenen Geburtstagen, zu denen ich jedes Mal abgehetzt und meist zu spät direkt aus dem Büro gekommen war.
»Gesa Wilde-Reinhart«, stellte sich die Mittfünfzigerin vor. Sie sprach so leise, dass sich der Lippenablesekurs, den Mona vor Jahren mit mir machen wollte, als sie mit einem gehörlosen Turmspringer ausgegangen war, ausgezahlt hätte.
Gesa Wilde-Reinhart also. Ist ja klar, es fehlt nur noch der Katzenstrickpulli, dachte ich noch, bevor ich von Frau Wilde-Reinhart sanft in eine Art Besprechungszimmer geschoben wurde.
Das Zimmer war sehr klein, wie überhaupt das ganze Büro. Schon im Eingangsbereich kam es mir eher vor, als sei ich im Vorraum eines Heilpraktikers gelandet und nicht bei einem Verlag. Überall standen kleine Fläschchen mit Räucherstäbchen herum, und an den Wänden hingen seltsame Ölmalereien in grellen Orangetönen, die nackte Frauen in den seltsamsten Stellungen zeigten. Könnte auch das Wartezimmer eines heilpraktisch orientierten Gynäkologen sein. Ob ich zur Sicherheit noch mal nachfragen sollte? Ich konnte hier doch nicht richtig sein!
»Bitte nehmen Sie Platz, wo es Ihnen gefällt«, sagte Frau Wilde-Reinhart und deutete auf die Korbflechtstühle, die in dem kleinen Raum verteilt standen.
»Egal wo?«, fragte ich unsicher.
»Natürlich.« Sie nickte und ihre beiden Vogelnester nickten mit. »Jeder muss seinen, ihm ganz eigenen Platz selbst finden.«
Ich blinzelte irritiert in den Raum und suchte mir den erstbesten Stuhl aus.
Auf einem kleinen runden Korbflechttisch in der hintersten Ecke stand eine Karaffe mit Wasser, auf deren Grund bunte Edelsteine lagen.
»Ein energetisches Wasser?«, fragte die Vogelnestfrau leise und setzte sich neben mich.
Das hatte alles irgendwie so gar nichts von einem Vorstellungsgespräch.
»Oh, nein danke …«, antwortete ich und begann, den Raum möglichst unauffällig nach etwaigen Notausgängen abzusuchen.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
Frau Wilde-Reinhart schien eine hervorragende Beobachterin zu sein.
»Äh, nein … also … äh, ja«, stammelte ich, »natürlich. Eine Stelle. Es geht hier doch um die ausgeschriebene Lektorenstelle, oder?«
Grandios, Charlotte, noch einmal galant die Kurve gekriegt, lobte ich mich in Gedanken.
»Richtig. Ich denke, Sie haben sich umfassend über unser Programm informiert.«
Frau Wilde-Reinhart formulierte diese Frage als Aussage, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als zu sagen: »Ja, natürlich.
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