Papa ante Palma by Stefan Keller

Papa ante Palma by Stefan Keller

Autor:Stefan Keller [Keller, Stefan]
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Ullstein Verlag
veröffentlicht: 2011-04-13T22:00:00+00:00


Zehn

Ich bin in unserer Wohnung in Palma gerade damit beschäftigt, die ersten Dinge für den Umzug vorzubereiten, als das Telefon klingelt.

Es ist Jochen. Jochen aus Wolfsburg. Also ursprünglich Bonner, aber Studium und Beruf haben ihn nach Niedersachsen verschlagen. Wir telefonieren ein-, zweimal im Monat länger, um uns gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Ein Mallorca-Deutschland-Abgleich sozusagen.

Jochen ist der Schlagzeuger meiner alten Iron-Maiden-Coverband, mit der wir als Schüler die Vororte von Bonn bestraften. Keiner konnte damals den Stick schneller zwischen den Fingern rotieren lassen als Jochen. Wir nannten ihn immer nur den Drumstick-Spinner, und er hatte Haare bis zum Hintern. Er nahm sogar heimlich irgendwelche Präparate, damit sie noch schneller wuchsen, und kaufte sich die Jeans immer eine bis zwei Nummern zu klein. Auch seine Kutte war perfekt gestylt. Die Knöpfe ersetzte er durch Kronkorken, und den großen Rückenaufkleber, den Backpatch, nähte er millimetergenau auf die Schultermitte. »MENOWAR« stand da drauf, denn die Typen hatten die besten Hymnen und die dicksten Muckis. Wir mussten die Kutte sogar taufen, indem wir ihm Bier überschütteten, während er sie anhatte. Waschen durfte er die Kutte übrigens nie. Das gebot der Codex.

Jochen war damals der Einzige von uns, der nach Metal aussah. Wir anderen hätten auch bei der Münchner Freiheit spielen können. Außerdem war er der Schlauste von uns, beste Noten bei geringstem Aufwand. Der Vater Hirnchirurg, die Mutter Verlagsleiterin. Er ein wandelndes Lexikon. Ein wandelndes, extrem haariges Lexikon. Ein wandelndes, extrem haariges Lexikon in einer viel zu engen Jeans. Ein wandelndes, extrem haariges Lexikon in einer viel zu engen Jeans und einer stinkenden Kutte. Das war Jochen.

Heute arbeitet Dr. Jochen Buchholz als Psychiater am Klinikum Wolfsburg. Er ist sehr gut in seinem Job und räumt einen Wissenschaftspreis nach dem nächsten ab. Die Haare sind ihm unlängst ausgefallen, und seine Körperhygiene sucht ihresgleichen. Seine Hobbys, die halbjährig wechseln, sind neben Mathematik auch Geomantie, Fengshui, Okkultismus, Wing-Chun sowie Internet-Blind-Dates, Ultraleichtflug, die Mongolei und Stepptanz. Jochen ist für mich nicht nur ein guter Freund, sondern auch wie ein Attest für ein anderes Leben. Eines, in dem wir damals nach unseren Konzerten kichernd an den Pissrinnen der Kneipen standen, als die Welt noch nichts kostete und obendrauf bar jeder Verpflichtung, jedes Planes und jeder Wiederholung war.

»Jochen, alte Wursthaut, was geht in Wolfsburg?«, lautet meine stets gleiche Eröffnung.

»Nix, aber das volles Brett«, kontert Jochen für gewöhnlich.

Im nächsten Moment sehe ich ihn kurz vor mir, wie er hinter seinen hundert Becken und Toms das Haar hin und her wirft und mit dem Stick wahre Kunststücke vollbringt. Er ist dann ziemlich weit entfernt von dem überregional bekannten, glatzköpfigen Arzt mit Brille und dem weißen Kittel, in dessen Brusttasche Kugelschreiber stecken.

Auch heute bleiben wir uns treu.

»Jochen, alte Wursthaut, was geht in Wolfsburg?«

»Nix, aber das volles Brett.«

Wir lachen.

»Erzähl mir lieber, was es bei euch auf der Insel so neues gibt. Habe eben bisschen gegoogelt, ihr habt es ja ziemlich mollig warm.«

»Na ja, siebenunddreißig Grad sind es hier in der Stadt schon. Der Asphalt glüht förmlich. Ehrlich gesagt, mir ist es schon fast zu warm.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.