Orange Is the New Black: Mein Jahr im Frauenknast (German Edition) by Piper Kerman
Autor:Piper Kerman [Kerman, Piper]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644526211
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-01-31T05:00:00+00:00
Eines Abends machte Miss Mahoney, die fröhliche Verwaltungsangestellte, zuständig für Weiterbildung, eine Menge Leute glücklich. Miss Mahoney war eine der wenigen Gefängnismitarbeiter, die auf unserer Seite zu stehen schienen. Sie hatte die nervige Angewohnheit zu rappen, wenn sie über die Lautsprecheranlage sprach. An diesem speziellen Abend kündigte sie eine Veranstaltung zum Thema Gender-Bewusstsein an. Was genau vermittelt werden sollte, blieb unklar.
Dann kam sie zu wichtigeren Dingen: «Wenn die folgenden Ladys sich bitte im JV-Büro melden würden, um ihre GED-Testergebnisse abzuholen …» Und man hörte schon an ihrer Stimme, dass es gute Neuigkeiten für jeden ausgerufenen Namen waren.
«Malcolm!», rief Mahoney aus.
Ich sprang aus meiner Koje. Natalie hatte den GED-Test (den General-Education-Development-Test) ungefähr schon ein Dutzend Mal gemacht und sollte ihn eigentlich schon längst bestanden haben. Sie wurde während der Arbeit nervös, und immer wieder war der Matheteil ihr Reizthema. Wo war Natalie?
Als ich in die Haupthalle kam, hörte man bereits Freudenschreie, und Frauen strömten aus allen Zimmern und den Schlafsälen. Wenn eine Frau von fünfundzwanzig, fünfunddreißig oder fünfundvierzig dafür gekämpft hat, ihren Highschool-Abschluss im Gefängnis nachzuholen, Test über Test absolviert hat und in einem erbärmlich geführten Programm und mit Klassen voller durchgeknallter Häftlinge gelernt und bestanden hat, ist das ein Sieg. Einige dieser Frauen haben vor über dreißig Jahren die Schule abgebrochen und nutzten schlussendlich einen der wenigen Vorteile – erreichten einen der ganz wenigen messbaren Erfolge –, die einem der Gefängnisaufenthalt bot. Plus, es bedeutete, dass diese Frauen endlich mehr verdienten in ihren Gefängnisjobs. Ohne GED konnte man nicht mehr als vierzehn Cents pro Stunde verdienen, was so gerade eben genug war, um Zahnpasta und Seife zu bezahlen. Alles wurde von unseren Gefängniskonten bezahlt – Hygieneartikel, Telefonanrufe, Geldstrafen. Wenn eine Gefangene keinen Highschool-Abschluss beziehungsweise GED hatte und von außen kein Geld hereinfloss, war sie am Arsch. Natalie hatte viele Jahre als qualifizierte Bäckerin in der Gefängnisküche geschuftet, ein hoch geschätztes Mitglied des Küchenpersonals, und dennoch konnte ihr nie mehr gezahlt werden als 5,60 Dollar pro Woche für vierzig Stunden harte Arbeit.
Wo war Miss Natalie? Ihr Name war vor fünf Minuten ausgerufen worden, doch ich hatte sie nicht in der Menge jubilierender, rufender und lachender Frauen in der Halle gesehen. Wo war meine rätselhafte Bettnachbarin, diese in höchstem Maße selbstbeherrschte Frau? Ich wusste, wie sehnsüchtig Natalie sich das Diplom wünschte und wie schmerzhaft es gewesen sein muss, so lange mit dem Matheteil zu ringen. Mit beschämter Würde hatte sie mein Angebot, ihr zu helfen, abgelehnt. Das war ihr Moment! Ob sie sich wohl irgendwo versteckte, beschämt, sich der Orgie von Gratulationen und illegalen Umarmungen anzuschließen, die im Flur stattfand?
Nein, warte, sie musste unten auf der Aschebahn sein! Ich hatte gesehen, wie sie sich ihre Turnschuhe angezogen hatte. In meinen Flip-Flops stürmte ich durch die Halle, hinaus aus dem Gebäude und die Stufen zur Bahn hinunter, so schnell ich konnte. Sie hatte es noch gar nicht mitbekommen! Halb die Stufen hinunter, rief ich den anderen auf der Aschebahn zu: «Ist Natalie bei euch?» Ich lief um die Sporthalle herum – und da stand sie, mit ihrer verrückten Freundin Sheila.
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