Operationsgebiet Schweiz · Die dunklen Geschäfte der Stasi by Tarli Ricardo

Operationsgebiet Schweiz · Die dunklen Geschäfte der Stasi by Tarli Ricardo

Autor:Tarli, Ricardo [Tarli, Ricardo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
ISBN: 9783280055540
Herausgeber: Orell Füssli Verlag
veröffentlicht: 2015-03-02T00:00:00+00:00


16. Persona grata

Am 7. Juni 1972, um 7.15 Uhr, legen sich zwei Polizeibeamte in Zivil im Zürcher Hotel Gotthard auf die Lauer. Kurz nach 10 Uhr erscheint in der Hotelhalle ein Mann im beigefarbenen Sommeranzug. Untersetzte Statur, schütteres Haar, das Gesicht mit ausgeprägten Geheimratsecken und Backenbart. Der Ostdeutsche, der seit vier Jahren im Visier der schweizerischen Bundespolizei steht, trifft sich an diesem Tag in der Hotellobby mit einem Firmenvertreter. Kurz nach 12 Uhr verlässt er in Begleitung einer Frau das Hotel, in dem er tags zuvor ein Zimmer bezogen hatte. Die Zürcher Polizisten hängen sich an seine Fersen und folgen ihm zum nahegelegenen Restaurant Feldschlösschen, wo er mit der unbekannten Frau zu Mittag isst. Um 13 Uhr verlässt er das Lokal und verabschiedet sich von seiner Begleiterin. Die Observanten trennen sich. Während der eine der Frau nachgeht, beschattet der andere den Verdächtigen, verliert ihn aber bald aus den Augen. Im Warenhaus Globus gelingt es dem ausländischen Agenten, seinen Verfolger abzuschütteln.

Der im Juni 1972 beschattete Mann war Günther Forgber, ein wichtiger Stasi-Mitarbeiter und Kontaktmann Ottokar Hermanns, der sich in den Siebziger- und Achtzigerjahren, oft begleitet von seiner Frau, regelmässig in der Schweiz aufhielt. Forgber war nicht nur einer der wichtigsten Embargohändler und Devisenbeschaffer der DDR. Er war auch langjähriger inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Der schweizerischen Bundespolizei war Forgbers geheimdienstlicher Hintergrund bereits seit Ende der Sechzigerjahre bekannt. Trotzdem durfte Forgber alias IM »Martin« während Jahrzehnten problemlos in die Schweiz ein- und ausreisen. Die Schweizer Botschaft in Berlin stellte dem Stasi-Agenten Jahr für Jahr Dauervisa aus. Die erste Bewilligung zu wiederholten Einreisen wurde Forgber und seiner Frau 1973 ausgestellt.

Die Vertreterfirma »Günther Forgber Wahrnehmung von Interessen für Industrie und Handel« vermittelte Geschäftskontakte im Bereich des Maschinen-, Textilmaschinen- und Anlagenbaus sowie der Elektronik und Medizintechnik. Das Firmengeflecht von Günther Forgber illustriert einmal mehr, wie eng der Einfluss der Stasi auf den Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) war. Die Parallelen zu Ottokar Hermanns Firmenkomplex sind auffällig: Wie Hermann stand auch Forgber einer, vordergründig, privaten Unternehmensgruppe vor. Wie Hermann unterhielt auch Forgber beste Beziehungen zum KoKo-Vizechef Manfred Seidel, der der Hauptabteilung I der KoKo vorstand. In dieser KoKo-Abteilung waren die sogenannten MfS-Firmen – Asimex, Camet, F. C. Gerlach, Interport, Intertechna GmbH, Letex, Kunst und Antiquitäten GmbH sowie die Firmengruppe von Günther Forgber – gebündelt. Zur HA I zählten auch Hermanns Befisa S. A. und Intrac S. A. Ottokar Hermann und Günther Forgber waren seit den frühen Siebzigerjahren miteinander bekannt. Zwischen ihnen bestanden jahrelange, enge geschäftliche Kontakte. Dennoch will Hermann von Forgbers geheimdienstlichem Hintergrund angeblich nicht gewusst haben.

Die MfS-Unternehmen waren der HA I zur ökonomischen Anleitung unterstellt. Gesteuert wurden sie allerdings durch das Ministerium für Staatssicherheit. Forgbers Firmennetz wurde vom MfS unter anderem zur Beschaffung von Embargowaren und Versorgungsgütern sowie zur finanziellen Unterstützung von Geheimdienstoperationen genutzt. Forgbers Unternehmensgruppe diente dabei vor allem als Deckadresse. In welchem Umfang Forgber persönlich mit der Beschaffung von Embargowaren befasst war, ist nicht abschliessend geklärt. Gegenüber seinem Stasi-Führungsoffizier beteuerte Forgber im Jahre 1988, seine Firmen nicht direkt in die Embargogeschäfte eingebunden zu haben.



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