Oma zeigt Flagge Roman by Regine Kölpin
Autor:Regine Kölpin [Kölpin, Regine]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426427927
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00
13
Noch neun Tage
Dein Blick ist, so verwandelt, mir ein Spiegel,
der mir den meinen auch verwandelt zeigt.
(William Shakespeare)
Jette nutzte die Mittagspause und legte sich erschöpft in den gut geschützten Garten. Oben ohne und im Schatten, den Sonnenhut ins Gesicht geschoben. So wie vorher. Bevor Kea ihr die Kinder dagelassen hatte, denn Jette war ein Fan von nahtloser Bräune. Sofern man bei ihrem bleichen Körper von Bräune reden konnte, aber darum ging es schließlich nicht. Es war die Freiheit, das zu tun, was sie tun wollte, selbst wenn ihre Haut den Farbton niemals in ein feines Braun veränderte. Sie hatte Günther dann doch nicht rausgeworfen. Er hatte gestern alles aufgeräumt und sie angefleht, ihm noch eine Gnadenfrist zu gewähren.
Aber nun war sie endlich mal allein. Fenna war mit Kilian nach Flinthörn geradelt, weil sie sehen wollte, ob dort irgendwelche ökologischen Maßnahmen zu ergreifen waren und ob die übrige Welt auf Langeoog grundsätzlich ihrer Rettung bedurfte. In diesem Gebiet würden sie eine Weile beschäftigt sein. Die Sicht war gut, und mit etwas Glück konnten sie von der Deichkrone aus bis zur Meierei im Osten der Insel blicken. Fenna würde sich an der Vogelwelt in den Salzwiesen und dem Wattenmeer erfreuen, denn hier befand sich einer der größten Brut- und Rastplätze für tausende Vögel. Außerdem blühte der Strandflieder in schönstem Violett, das ließ die Salzwiesen wunderbar bunt erscheinen. Mit etwas Glück fand Kilian hier weitere Forschungsmöglichkeiten, nachdem sich die Stufenforschung erschöpft hatte. Jedenfalls hatte er recht: Mehr Stufen gab es, außer auf dem Schiff, wirklich nicht, die im Schwimmbad hatte er vermutlich vergessen. Soweit Jette wusste, gab es dort eine Rutsche, zu der man hinaufsteigen musste. Sie seufzte. Jetzt war sie mal allein, und sie beschäftigte sich mit Kilians Stufenforschung, anstatt sich auf sich selbst zu fokussieren und den Ist-Zustand zu genießen. Es war doch gleichgültig, ob ihr Enkel noch mehr Stufen fand. Wen interessierte das schon?
»Mich«, stieß sie aus und setzte sich augenblicklich aufrecht hin. »Solange Kilian Stufen zählt, ist er beschäftigt. Und will nicht den Dieb des Bildes selbst stellen.« Das war definitiv gerade ihre größte Sorge. Nicht dass der Kleine sich unnötig in Gefahr begab!
Jette ließ sich wieder hintenüberfallen. Sie konnte das Unabänderliche ohnehin nicht ändern. »Nun nutze die Zeit, die du für dich hast. Bevor gleich Günther und Marie vor dir stehen.«
Ich werde doch alt, weil ich schon wieder Selbstgespräche führe. Jette schloss die Augen.
Mit etwas Glück würde Marie noch lange schlafen und sie nicht stören. Sie war von ihrem neuerlichen Friseurtermin am frühen Morgen, wo jeder vernünftige Teenager noch schlief, äußerst geschafft. Der brennende Igel war in eine schlecht gemähte Graslandschaft übergegangen, vermutlich war das noch lange nicht die letzte Version, die Jette in der Zeit des Besuchs auf dem Kopf ihrer Enkelin erleben würde. Sie hatten schließlich noch neun Tage vor sich.
Wo Günther steckte, wusste Jette nicht. Er hatte nach dem Essen mit einem verschmitzten Grinsen das Haus verlassen und war noch nicht zurückgekehrt. Nach wie vor stolzierte er wie ein Pfau in seinem neuen Outfit über die Insel und glaubte tatsächlich, die unverhohlene Bewunderung der Insulaner und Gäste zu genießen.
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