Nullzeit by Juli Zeh
Autor:Juli Zeh
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-07-03T22:00:00+00:00
11
Wir schlenderten zum Hafen. Der Abend war lau. Es gab auf der Insel dreihundert laue Abende pro Jahr, aber diesem haftete etwas Besonderes an. Die Brise war so sanft, dass es schon wieder argwöhnisch machte. Die Konturen von Menschen und Häusern wirkten leicht verschwommen. Dafür schienen sämtliche Geräusche irgendwie schärfer umrandet. Auch Theo und Jola merkten etwas. Während wir die steile Asphaltstraße abwärts gingen, rückte er immer näher an sie heran. Auf der Hafenpromenade erlaubte sie, dass er einen Arm um sie legte. Sie lehnte sogar den Kopf an seine Schulter. Bei dem Anblick empfand ich Erleichterung. Ich ließ mich ein paar Schritte zurückfallen und sah in eine andere Richtung, als gehörten wir gar nicht zusammen.
Die kleine Menschenmenge fiel schon von Weitem auf. Die Leute standen an der Stelle, wo die Liegeplätze für Yachten von mehr als zwanzig Metern begannen, und sahen nicht aus, als warteten sie auf Sitzplätze in einem der Restaurants. Vielmehr blickten sie quer über das Hafenbecken zum Ankunftssteg an der Innenseite der Mole.
»Guckt euch die Trottel an«, sagte Jola. »Die warten tatsächlich auf die blöde Stadler.«
Yvette Stadler war eine berühmte deutsche Sängerin und Schauspielerin, von der ich am Morgen zum ersten Mal gehört hatte. Da Antje in der Lage war, dem spanischen Dampfgeplauder von Radio Crónicas Botschaften zu entnehmen, klärte sie mich beim Frühstück auf: In der Marina von Puerto Calero wurde für den frühen Abend die vom deutschen Eiweißriegel-Erben Lars Bittmann gecharterte Segelyacht Dorset erwartet. An Bord befand sich unter anderem besagte Yvette Stadler. Antje lachte, als ich fragte, wer das sei.
»Fahr doch nach Puerto Calero und guck sie dir an.«
»Spinnst du?«, fragte ich. »Was habe ich davon?«
Und da waren wir. Es war Jolas Idee gewesen, so wie alles, was wir in den letzten Tagen unternommen hatten. Über ihrer Insektensonnenbrille trug sie einen kunstvollen Turban, was sie »inkognito« nannte. Noch in der Hölle hätte ich sie an ihrer Zahnlücke erkannt.
»Ich freue mich auf die doofen Gesichter«, sagte sie.
»Das musst du dir vorstellen, Sven«, fügte Theo hinzu. »Die warten zwei Stunden, und dann nur B-Prominenz.«
Es war das erste Mal seit zwei Tagen, dass Theo mich nicht »kleiner Scheißer« nannte. In seinen Augen glänzte eine Vorfreude, die ich auch unter Jolas Sonnenbrille vermutete. Die Dorset schien beiden etwas zu bedeuten.
»Bittmann macht das immer so«, erklärte Jola. »Er sammelt ein bisschen Kulturschickeria ein, schippert um die halbe Welt und faxt seine Gästeliste an die Nachrichtenagenturen. Die berühmteste Person auf der Liste ist dann in Wahrheit nicht dabei.«
Beim Gedanken an deutsche Prominente wurde mir übel vor Gleichgültigkeit. Ich verstand nicht, was so lustig daran war, ein paar Inseltouristen beim vergeblichen Warten auf Yvette Stadler zuzusehen. Aber Theo und Jola waren zum ersten Mal seit Tagen aus demselben Grund gut gelaunt, und in der Gruppe von Wartenden entdeckte ich Dave. Er war groß genug, um die kleine Menge, in der er stand, um Haupteslänge zu überragen. Theos Arm lag immer noch um Jolas Schultern. Eine bessere Aufstellung, um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, konnte ich mir nicht wünschen. Vielleicht hatten wir sogar einen Wendepunkt erreicht.
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