Novellen und Erzählungen : Band 5 (1914 - 1924) by Heinrich Mann

Novellen und Erzählungen : Band 5 (1914 - 1924) by Heinrich Mann

Autor:Heinrich Mann [Mann, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Werke, Einzelband
Herausgeber: Verschiedene Quellen
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


VII

Als die Tür jäh aufgerissen ward, fehlte wenig, daß der kleine Mann in den Abgrund stürzte. Sie sahen aber, daß das Wartezimmer nicht da war, und schlossen, ohne sonst etwas zu sehen, die Tür, bis es heraufkäme. Es kam; aber wie sie es öffneten, fiel der Dame, die eintreten wollte, der Kobessche Sekretär an die Brust. Er rutschte leblos an ihr entlang und schlug nochmals auf. Er hatte sich, da seine Laufbahn beendet schien, den letzten Schuß aus seiner Waffe versetzt. Er blutete wenig und war leicht wegzuräumen. Während die Gatten zu ihm einstiegen und Kobes nachwinkte, gelangte der kleine Mann unbemerkt ins Zimmer.

Seine Nerven waren gestählt durch die Prüfungen der vergangenen Stunde. Mitten in Schwindel und Schweißausbrüchen der Lebensgefahr hatte er zu fühlen bekommen, daß er dennoch stärker sei als die Mächtigen. Er war Ohrenzeuge ihres Elends geworden, er, den nichts Menschliches in Versuchung führte! Was vermochte denn gegen ihn jener Kobes! – So sicher fühlte der kleine Mann sich an der Schwelle des furchtbaren Abgrundes. Kaum aber ins Zimmer geborgen, verlor er den Glauben. Konnte es ohne Katastrophen abgehen, mit einem so reichen Mann im selben Zimmer?

Rückkehr Kobes’. Wie durch den Staub geschleift, ein armer Überrest. Streit von Begier und Vorurteil hatte diese große Kraft erschüttert! Hatte seine Knochen verrenkt, sein schlichtes Kleid zu Fetzen zerknüllt. Sein Gesicht war lang, und unwillkürliche Zuckungen kräuselten es. Als er einen Menschen im Zimmer erblickte, rief er: »Helfen Sie mir!«

Der kleine Mann, dies hören und vor Schreck mit dem Gesicht zucken um die Wette mit Kobes. So standen sie, einer bedürftiger als der andere. Der zu große Philosophenkopf durchschaute es zuerst, er richtete sich auf am Wissen. »Kobes«, sagte er, »Sie stehen an der Schwelle furchtbarer Abgründe. Unweigerlich reißt Sie hinein die Wut einer Leidenschaft, die Sie diesmal nicht anders als mit Verlust Ihrer bürgerlichen Ehrbarkeit stillen können. Sie sind der tragische Mensch, Kobes! Begabt mit Habgier, der einzigen unter allen Leidenschaften, die berechnet, nicht verschwendet, sehen Sie sich plötzlich vor der Notwendigkeit, ihr opfern zu müssen, was Sie waren, den Ehemann, Vater, die sittliche Persönlichkeit. Und Sie wollen Hilfe?«

»Wer sind Sie?« fragte Kobes endlich. Da der kleine Mann nur auf seine gewaltige Stirn hinwies: »Leben Sie davon?« Versuch, sich schadlos zu halten an der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Mahners; der kleine Mann durchschaute auch dies. Er lächelte erhaben. »Ich heiße Sand. Nicht Kant. Nur Sand. Ich bin trocken und unfruchtbar, aber beweglich – und bewahre keine Spur.« – »Was soll ich davon haben?« fragte Kobes, wieder auf begangenem Weg.

Der kleine Mann faßte Fuß. Er nahm den Stuhl nicht, nach dem Kobes winkte. Er faßte Fuß und sprach mit Sprechtechnik: »Ich biete Ihnen unerhörte Gewinnchancen. Sie werden in den Stand gesetzt, die neue Religion, nach der unser ganzer Erdteil in furchtbaren Zuckungen ringt und die Sie auf radiotelegrafischem Wege Ihrer Kundschaft vorankündigen, sofort greifbar zu machen, ja, ohne weiteres in Betrieb zu nehmen.«

»Welche neue Religion?« Kobes spielte den Unbeteiligten. »Den Kobesmythos«, erklärte jener. Worauf Kobes: »Ich bin gegen Reklame.«

»Sie sind nur gegen Bezahlen«, sagte der kleine Mann ungeduldig.



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