Novellen und Erzählungen : Band 2 (1898 - 1906) by Heinrich Mann
Autor:Heinrich Mann [Mann, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Werke, Einzelband
Herausgeber: Verschiedene Quellen
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
V
Leonie brach unerwartet auf und verlangte, daà die anderen dablieben. Zu dem Kapellmeister, auf der StraÃe, den Schritt anhaltend und mit einem hilfesuchenden Blick:
»Was soll das nun wieder! Kannst du mir wohl sagen, was nun das wieder soll!«
Der Kapellmeister machte: »Hm. Ja, was wollte er da?«
Dann fand er das Mildtätigste, was sich finden lieÃ.
»Er kann es nicht lassen. Aber du gefällst ihm mehr, als gut ist. Er hat Angst vor dir. Er fürchtet, er werde dich zu sehr lieben. Verstehst du, zu sehr.«
Leonie erwiderte nichts. Warum sollte es nicht so sein? Sie wollte, daà es so sei.
»Nicht einmal einen Vorwand hat er gebraucht, um wegzubleiben. Er gibt alles Heucheln auf, sagt nicht mehr: ich bin verreist â nein, versäumt erst unsere Verabredung und stellt sich dann offenkundig unter das Caféfenster. Wagt also nicht, da hineinzugehen, wo ich bin! Oh! Jetzt hab ich ihn und jetzt geh ich. Er soll noch oft des Nachts unter den Fenstern stehen!«
»So istâs recht. Nun wird gereist«, sagte der Kapellmeister eifrig.
»Und zwar morgen mittag nach Köln, mit den Kollegen.«
»Findest du das so besonders angenehm? Mit dem ganzen Pack?«
»Unbedingt!«
Sie wollte keinen Augenblick frei zum Denken haben. Sie ordnete bis an den hellen Tag ihre Kostüme in fünf Kisten. Sie lieà sich die Haare waschen, was den Kopf ermüdet und wobei zwei Stunden dahingehen. Noch in der Droschke hatte sie mit ihrer Handtasche zu tun, fiel auf einen Platz, wie der Zug abging, und erklärte sofort, in Köln sollte gebummelt werden. Der Held und seine Freundin lieÃen sich bitten, weil sie ins Sommerengagement muÃten. Die beiden von der Oper waren einverstanden. Die Naive klatschte in die Hände.
Die Gesellschaft beschloÃ, sich durch die Sehenswürdigkeiten zu nichts verpflichten zu lassen; Leonie stimmte gegen den Besuch der Kirchen; sondern man machte eine Fahrt durch die Stadt, speiste ausführlich in einem kleinen Salon des Hotels und blieb noch lange beim Wein. Der Kapellmeister öffnete das Klavier. Auf den ersten Wink sprang Whitman, der Tenor, auf die FüÃe und sang. Er war klein und schlank, mit starken Armen, und während sein Kehlkopf auf und nieder stieg, spielten aus Freude am Dasein alle seine Muskeln. An seinem krausen, olivenfarbenen Kopf hatten die amerikanische, italienische und die schwarze Rasse mitgewirkt. Er hatte getrunken und geraucht, soviel er mochte; nun lieà er seine Stimme hergeben, was man wollte, seiner Unerschöpflichkeit sicher und strahlend vom GenuÃ, sich in Tätigkeit und die mühelose Funktion seines Körpers von allen bewundert zu fühlen. Er legte einen Turiddu hin und schmetterte ohne Pause den Bajazzo herunter. Darauf glitt der Kapellmeister zu dem Motiv der »Boheme« und zu seiner Entfaltung in der zweiten Hälfte des ersten Aktes. Whitman setzte ein.
Er war ein Künstler. Seine Stimme verzauberte ihn; sie lieh seinem eitel lächelnden Gesicht den Schmelz der Empfindung, seinen Schultern den geschweiften Leibrock des romantischen Dichters und hängte über seine schwarzen Haare, die nun lang und glatt erschienen, die Balken der Mansarde. Man sah Mimi eintreten und in Ohnmacht sinken, die Kerzen erlöschen, im kalten Dunkel die beiden armen Menschen unversehens einander
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