Noahs Auszeit by Sigrid Lenz

Noahs Auszeit by Sigrid Lenz

Autor:Sigrid Lenz [Lenz, Sigrid]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: AAVAA Verlag
veröffentlicht: 2013-10-16T00:00:00+00:00


18.Dezember

Frau Mildred, ihres Zeichens Küsterin der evangelischen Kirche, rieb sich ihre kalten Hände. Ohne Erfolg. Selbst die zweite Tasse Kaffee reichte bei diesen Temperaturen nicht aus, ihren Körper auch nur während des kurzen Weges über die Straße, der sie von ihrem kleinen Häuschen zu der Stätte ihres täglichen Wirkens führte, warm zu halten. Mit klammen Fingern schloss sie das Gemeindehaus auf. Ihre ersten Schritte lenkten sie ihn die Küche, die nächsten über die steinerne Treppe in den Keller. Natürlich musste sie wieder den Boden wischen. Emilia Mildred machte sich gar nicht erst die Mühe, diesen zu inspizieren. Am Abend zuvor hatten die Konfirmanden ein Treffen abgehalten, und natürlich war es niemandem gelungen, sie davon abzuhalten, die Treppen hinauf und hinunter zu laufen und sämtlichen sichtbaren oder auch unsichtbaren Schmutz über ihre sorgsam gepflegten Böden zu tragen. Es blieb ihr also nichts anderes übrig.

Emilia öffnete die Abstellkammer, beförderte schwungvoll die notwendigen Utensilien vor die Tür und stockte in der Bewegung. Ihr Kopf fuhr herum, sie betrachtete die Lücke im Regal und seufzte. Ein Blick nach rechts aus der Kammer heraus, wenige Schritte und vergebliches Betätigen des Türgriffes bestätigten ihren Verdacht. Frau Fallersleben, denn Emilia konnte sich nicht vorstellen, wer es ansonsten gewesen sein konnte, war wieder tätig gewesen. Und wieder hatte sie den Raum abgeschlossen.

Emilia schüttelte den Kopf. Nicht, dass sie diesen Raum benötigte, die meiste Zeit stand er ohnehin leer, zugig und kaum möbliert wie er war. Dennoch fühlte Emilia sich unweigerlich gekränkt. Dieses Gebäude sauber und in Ordnung zu halten, war ihre Aufgabe. Eine Aufgabe, die sie gewissenhaft ausführte, zumindest waren bislang noch keine Klagen eingetroffen. Sie übernahm die Kontrolle der hauswirtschaftlichen Bereiche mit absoluter Hingabe, fühlte sich für jeden Gegenstand, für jedes Möbelstück verantwortlich.

Und nun ein solcher Beweis des Misstrauens. Zusätzlich ein Hinweis darauf, in welchem Ausmaße Frau Fallersleben ihre Intelligenz unterschätzte. Emilia brummte missmutig. Schließlich wusste sie besser als jeder andere, was sich in diesem Raum verbarg. Hatte sie doch eigenhändig geholfen, das Gerümpel in den Keller zu transportieren, mit eigenen Augen begutachtet, welche Exemplare der eindeutig von einem chaotischen Geist zusammengestellten Sammlung, in absehbarer Zeit als vorzeigbar gelten konnten, und welche sofort den Weg in den Restmüll antreten durften.

Allerdings hatte Hedwig Fallersleben Emilia da sofort einen Riegel vorgeschoben. In ihren Augen blinkte eine Begeisterung, die Emilia bislang an der doch eher stillen, vorwiegend hauptsächlich unbeholfen wirkenden Frau noch nicht aufgefallen war. Diese wirkte eigentlich immer ein wenig zu groß, als seien ihre Glieder zu lang, ihr Körper zu breit, als dass sie ihn handhaben könne. Doch mit den ererbten Gegenständen zeigte Hedwig eine beinahe bewundernswerte Sorgfalt, ein Zartgefühl, von dem Emilia sich wünschte, dass die andere es auch in der Pflege ihres Gartens walten ließe. Der angrenzende Garten der Fallerslebens war ihr praktisch seit deren Einzug ein Dorn im Auge. Dass beiden Eheleuten der grüne Daumen fehlte, sprang besonders im Kontrast zu den Grünflächen, die Kirche und Gemeindehaus umgaben, unangenehm ins Auge, denn für diese war ebenfalls Emilia verantwortlich und in beide legte sie ihren gesamten Stolz.



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