Niels Lyhne by Jacobsen Jens Peter

Niels Lyhne by Jacobsen Jens Peter

Autor:Jacobsen, Jens Peter
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00


Für das Neue in der Zeit hatte er ja stets ein offenes Auge gehabt, aber er hatte eigentlich mehr zugehört, wie das Neue dunkel im Alten ausgesprochen war, als daß er auf das gelauscht hätte, was das Neue selber ihm klar und deutlich zurief; und darin lag nichts Merkwürdiges, denn es ist noch niemals ein neues Evangelium hier auf Erden gepredigt worden, ohne daß die Welt nicht sofort mit einer Unmenge von alten Prophezeiungen bei der Hand gewesen wäre.

Aber dazu gehörte etwas anderes, und Niels fiel mit Begeisterung über seine neue Arbeit her; er war von der Eroberungslust ergriffen, von dem Durst nach der Macht des Wissens, den wohl jeder Diener des Geistes, wie demütig er sein Amt auch verrichten mag, einmal empfunden hat, sei es auch nur für eine einzige armselige Stunde. Wer von uns, den ein gütiges Schicksal so gestellt hatte, daß er für die Entwicklung seines Geistes sorgen konnte, wer von uns allen hat nicht mit begeistertem Blicke hinausgestarrt auf das unendliche Meer des Wissens, und wer hat sich nicht hingezogen gefühlt zu seinen klaren, kühlen Wassern, und hat nicht angefangen, in dem leichtgläubigen Übermute der Jugend es mit der hohlen Hand zu schöpfen wie das Kind in der Legende? Weißt du noch, die Sonne konnte über sommerhellem Lande lachen, du sahst weder Blumen noch Wolken noch Quellen; die Feste des Lebens konnten vorüberziehen, sie erweckten keinen Traum in deinem jungen Blute; selbst die Heimat lag dir fern; weißt du das noch? Und weißt du auch noch, wie er sich dann in deinen Gedanken aufbaute aus den gelbwerdenden Blättern, geschlossen und gesammelt, in sich selber ruhend wie ein Kunstwerk, und es war dein Werk in jeder Einzelheit, und dein Geist lebte in dem Ganzen? Wenn die Säulen schlank aufstiegen, mit selbstbewußter Tragkraft in ihrer starken Rundung, so war es ein Teil deines eigenen Ichs, dies kecke Aufsteigen, in dir lag dies stolze Tragen; und wenn die Wölbung zu schweben schien, weil es seine ganze Schwere, Stein auf Stein, gesammelt hatte und sein Gewicht in mächtigen Tropfen auf den Nacken der Säulen senkte, so ward er dein, dieser Traum vom gewichtlosen Schweben, weil die Sicherheit, mit der sich die Wölbung herabsenkte, ja nichts anderes war als du selber, der den Fuß auf sein eigenes Ich setzte.

Ja, so war es, so wächst unser Wesen mit unserem Wissen, klärt sich dadurch, sammelt sich darin. Es ist ebenso schön, zu lernen, wie zu leben. Fürchte nicht, dich selber in Geistern zu verlieren, die größer sind als du selber. Sitze nicht da und grüble ängstlich über der Eigentümlichkeit deiner Seele, verschließe dich nicht vor dem, was Macht hat, aus Furcht, daß es dich mit sich hinabreißen und deine liebe, innerste Eigenheit in seinem mächtigen Strudel mit sich fortreißen könnte. Sei überzeugt, die Eigentümlichkeit, die in dem Ausscheiden und dem Umbilden einer fröhlichen Entwicklung verloren geht, war nur eine Unvollkommenheit, ein im Dunkeln getriebener Sprößling, dessen ganze Eigentümlichkeit darin bestand, daß er krank war an lichtscheuer Blässe. Und von dem Gesunden in dir sollst du leben, aus dem Gesunden heraus entwickelt sich das Große.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.