Nicht mit mir, Schwesterherz! by Jessica Martinez

Nicht mit mir, Schwesterherz! by Jessica Martinez

Autor:Jessica Martinez
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Tags: Jugendroman
Herausgeber: Bastei Lübbe
veröffentlicht: 2014-07-22T22:00:00+00:00


KAPITEL 14

Ich überlebte die erste Woche allein.

Charly aß ihr Mittagessen in ihrer Beratungsstunde, während sie Jobs für Ms Lee erledigte, und ich aß in einer der abgetrennten Ecken in der Schulbibliothek, in der es nach Thunfisch roch. Eigentlich war es nicht erlaubt, dort zu essen, aber die Aufsicht hatte offensichtlich keinen Geruchssinn und kein Interesse daran, was in den dunklen Ecken vor sich ging. Es stank entsetzlich, aber das war nicht so schlimm, wie allein in der Cafeteria sitzen zu müssen. Die abgetrennten Zellen waren der perfekte Zufluchtsort für alle Außenseiter und diejenigen, die so wild darauf waren, miteinander rumzumachen, dass sie den Thunfisch-Gestank in Kauf nahmen. Meine Belohnung dafür, dass ich es bis zum Wochenende geschafft hatte, war, Richard kennenzulernen.

»Ihr werdet ihn total klasse finden!«, quietschte Bree, während sie das dreckige Geschirr im Ofen versteckte. »Das erledige ich später.«

Beides war eher unwahrscheinlich.

Dass es Richard gab, das fand ich inzwischen ziemlich klasse – schließlich hatte er mir, wenn man es genau nahm, meine Winterklamotten gekauft und bezahlte obendrein für meine Unterkunft und Verpflegung. Das musste ich ja gut finden. Ihn jetzt persönlich kennenzulernen würde aber bestimmt bloß dazu führen, dass sich meine positiven Gefühle in Luft auflösten. Konnte ich mich nicht aus der Ferne darüber freuen, dass es ihn gab?

Allerdings behielt ich meine Gedanken lieber für mich. Und ziemlich sicher würde es später an mir hängenbleiben, das Geschirr zu spülen.

An diesem Morgen hatte Charly für fünf Sekunden eine Auszeit davon genommen, mich mit ihrer üblichen Nichtachtung zu strafen, die sie mir die ganze Woche über hatte zukommen lassen. Aber nur zu dem Zweck, um mir vorzuschreiben, wie ich mich zu verhalten hatte.

»Benimm dich nicht wie eine Vollidiotin, wenn der Typ kommt, okay?«

»Klar doch. Warte, heißt das, ich kann ihn nicht fragen, warum er denkt, dass es in Ordnung geht, eine sechsundzwanzigjährige Freundin zu haben, obwohl er selbst älter als Methusalem ist?«

Sie antwortete nicht.

Abgesehen von dieser kleinen Ausnahme war Charly überraschend konsequent darin, mich mit ihrer Nichtachtung zu strafen. Sie verzichtete sogar darauf, mich finster oder wütend anzusehen, und das war für sie schon außergewöhnlich emotionslos. Ich hatte nicht gewusst, dass sie dazu fähig war. Es war direkt beeindruckend.

Richard dagegen war nicht besonders beeindruckend, das war also so, wie ich es erwartet hatte. Er war schrecklich nett – so wie es nett war, an einem Regentag ein gegrilltes Käsebrot zu essen oder neue warme Socken zu tragen oder Wiederholungen von Sitcoms aus den 90er Jahren im Fernsehen zu gucken –, aber er hatte keine Qualitäten, die ich von einem Freund erwartete. Er war nicht schlau. Nicht witzig. Nicht gut aussehend.

Trotzdem saß Bree neben ihm auf dem Sofa und sah zu ihm auf, als wäre er ein Gott, spielte mit den grauen Locken an seinem Nacken und lachte sich über seine lahmen Witze kaputt, als wäre er der lustigste Mensch auf der Welt. Und sie schien es sogar ehrlich zu meinen.

Charly saß ihnen gegenüber im Sessel und lächelte zum ersten Mal in dieser Woche. Es wirkte so überzeugend, dass nur ich wusste, dass es gekünstelt war.



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