Nibelungen 1 - Der Rabengott by Kai Meyer

Nibelungen 1 - Der Rabengott by Kai Meyer

Autor:Kai Meyer
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2010-10-05T17:00:54+00:00


In der Nacht schlich er sich aus der Burg.

Ungesehen ins Freie zu gelangen war keineswegs einfach, denn der Graf hatte nach Bärbarts Verschwinden die Wachen an den Toren und oben auf den Wehrgängen verdoppeln lassen. Aber Hagen kannte alle geheimen, unbewachten Winkel des Gemäuers, und er wußte, wie man in ihrem Schatten nach draußen gelangte. Allerdings brauchte er länger dafür, als er gehofft hatte, und so war Mitternacht vorüber, als er im Schutz der Bäume zum Fluß hinabhuschte.

Der Mond spiegelte sich auf den Wellen, und das Flüstern der Strömung rauschte in Hagens Ohren. Er versuchte, es zu verstehen, dachte, es wolle vielleicht zu ihm sprechen, doch er hörte nur wirres Säuseln und Wispern und Glucksen.

Auf halbem Weg drehte Hagen sich noch einmal um und schaute hinauf zur Burg. Nur eine Reihe von Fackeln auf den Zinnen verriet, daß sie sich nicht in Luft aufgelöst hatte; der Rest verschmolz völlig mit der pechschwarzen Nacht.

Sein Blick streifte auch die Klippe, auf deren Spitze die Eiche stand. Er fragte sich, was geschehen würde, wenn das Hochwasser jemals so weit steigen würde, daß es den Baum erreichte. Das Gerede seiner Mutter vom Klabautermann kam ihm in den Sinn. Er schauderte und wandte sich ab.

Während seines Abstiegs zum Ufer passierte er die hohe Mauer der Tannen, hinter der Dankwart sich das Knie aufgeschlagen hatte. Es lag kaum einen halben Tag zurück, da Hagen in den Zweigen eine wellenförmige Bewegung beobachtet hatte. Nur der Wind, dachte er verbissen. Dann aber kam ihm in den Sinn, daß die Bäume noch vor wenigen Tagen unter der Wasseroberfläche gestanden hatten. Hatte irgend etwas die Gelegenheit genutzt und sich in ihren Ästen eingenistet?

Er rannte so schnell er konnte, panisch fast, bis er die Tannen hinter sich gebracht hatte und den Fluß erreichte.

Der Mondschein umrahmte drei Gestalten. Stumm blickten sie Hagen entgegen.

Er blieb schlagartig stehen.

Es waren drei Frauen, mit nassem, hüftlangem Haar. Sie standen bis zu den Knien im Wasser, die Säume ihrer Gewänder wogten auf den Wellen. Der Mond beschien sie von hinten, ihre Gesichter waren in Schwärze gehüllt.

»Du also bist Hagen von Tronje«, sprach die erste mit altersloser Stimme.

Die zweite kicherte hinter ihrem Schattenschleier. »Er ist jung.«

»Ein Kind noch«, sagte die dritte.

Hagen raffte all seine Kühnheit zusammen. »Manns genug jedenfalls, Euch zurück ins Wasser zu jagen, wenn es sein muß.«

»Er spricht mutig.«

»Wagemutig.«

»Waghalsig.«

»Hals über Kopf.«

»Den Kopf will ich. Mit dem Hals macht, was ihr wollt.«

Haltloses Gekicher folgte.

»Für mich die Beine.«

»Die Arme mir.«

»So wird geteilt die Hühnerbrust, das kleine Herz darin.«

»Habt ein Herz, Schwestern, und nehmt ihn euch zur Brust.«

Hagen stand starr, wie angewurzelt. Viel hörte man in jenen Tagen von den kindischen Späßen der Wasserfrauen, doch sie dabei tropfend und gackernd vor einem zu sehen, das war eine ganz andere Sache.

Er hatte große Angst, obgleich er sich vornahm, sie so gut als möglich zu verbergen. »Seid Ihr Damen hier, um mit mir zu sprechen, oder wollt Ihr nur dumme Scherze machen?«

»Er nennt uns Damen.«

»Der Gute.«

»Aber unsere Scherze nennt er dumm.«

»Der Wicht.«

Trotz seiner Furcht wurde Hagen allmählich ungeduldig, zumal er wußte,



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