Nevena by Burkhard Spinnen

Nevena by Burkhard Spinnen

Autor:Burkhard Spinnen [Spinnen, Burkhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-05-14T16:00:00+00:00


6. Kapitel

Natürlich sind sie viel früher aufgebrochen als nötig. Seit mehr als einer Stunde sitzen sie in diesem Internetcafé. Das heißt, Patrick sitzt drinnen vor einem der Monitore und Henner draußen auf der Straße, an einem der kleinen Tische, die sich auf den schmalen Betonstreifen zwischen Haus und Bürgersteig quetschen. Er trinkt einen Kaffee, den gibt es hier ebenso wie Zeitungen, Dosensuppen, Zigaretten und dies und das.

Als sie das Wohnmobil verließen, waren die Parkwächter aufmerksam geworden. Wohin sie denn wollten?, hieß es; einer sprach ein paar Worte Deutsch.

Sie suchten ein Internetcafé, am besten auf dieser Seite des Flusses.

Das Wort Internet löste dann mehrere Telefonanrufe aus. Sie sollten nicht alleine losgehen! Da komme gleich jemand für sie.

Fünf Minuten später stoppte ein Taxi neben ihnen, ein Mercedes deutlich älteren Baujahrs. »Darf ich die Herrschaften bitten, Platz zu nehmen!«, sagte der Fahrer durchs geöffnete Fenster.

Sie waren noch keine zwei Straßen gefahren, da wussten sie, woher er sein Deutsch hatte: aus Berlin. Siebzehn Jahre sei er dort Taxi gefahren, und mit genau diesem Wagen hier. Sein Akzent kam Henner allerdings eher sächsisch als berlinerisch vor.

Als sie die breite Straße erreichten, über die Henner und Patrick am Morgen gekommen waren, ging der Mann vom Gas. Und dann begann er zu erklären: Wo genau hier die Front verlaufen war, welche Kriegspartei sich wo verschanzt und welche Waffen sie besessen hatte, wann welches Haus zerstört, welche Straße wieder erobert oder aufgegeben worden war.

An der großen Kreuzung, an der das zerschossene Hochhaus und das gelbe Maurenschloss einander gegenüberstehen, bog der Mann nach rechts ab in Richtung Fluss. Er fuhr jetzt so langsam, dass sich hinter ihnen eine Schlange bildete. In seinen Erklärungen machte er keine Pause.

Henner hatte versucht, gar nicht mehr hinzuhören. Barrikaden, Granatbeschuss, Häuserkampf, Flugverbotszone. Danke, aber ich interessiere mich nicht für Ihren Krieg!, hätte er gerne gesagt. Ich wünsche davon nichts mehr zu erfahren. Und Sie täten auch gut daran, den Mantel des Schweigens darüberzudecken.

Aber natürlich war er es, der schwieg. Für den Mann am Steuer war der Krieg sein Kapital. Ein fahrtüchtiger Oldtimer und die Erinnerung an diesen Wahnsinn, damit ernährte er jetzt wahrscheinlich seine Familie. Henner hatte sich an die wacklige Kopfstütze gelehnt und die Augen geschlossen. Wenn er jetzt einen seiner Anfälle bekäme, wäre das eine Katastrophe. Dann müsste er vielleicht stundenlang in diesem alten deutschen Taxi durch die bosnische Geschichte fahren; hinter ihm sein Sohn, der auf diesem Friedhof von Stadt ein Mädchen sucht, das ihn an der Nase herumgeführt hat, warum auch immer.

Aber der Anfall war ausgeblieben. Und als der Taxifahrer vor dem Internetcafé gestoppt hatte, war seit ihrem Aufbruch nicht mehr als eine Viertelstunde vergangen. Also waren sie immer noch viel zu früh.

»Papa!«

Henner nimmt seine Kaffeetasse und geht hinein. Der Platz neben Patrick ist frei.

»Ich dachte, du willst es vielleicht sehen.«

»Okay.«

Es ist kurz vor neun. Patricks Figur befindet sich vor einem großen Palast, der, wenn Henner nach dem Baustil urteilen sollte, im späten Barock begonnen und im Mittelalter beendet wurde. Das also ist der Königspalast von Koldan. Sehr schön. Die Figur steht am Rande eines Platzes.



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